Der Bundesrat muss der EU sagen, wie er die zukünftige Beziehung der Schweiz zur EU sieht. Doch er weiss es nicht. Zu Recht! Denn uns fehlt eine ausgewogene Diskussion dazu. So hat die Schweiz schwere Probleme mit der baulichen Verdichtung, der Überlastung der Verkehrsinfrastruktur, der Stromknappheit und dem Erreichen ihrer CO2-Reduktionsziele. Dass diese Probleme eng mit dem zuwanderungsgetriebenen Bevölkerungswachstum zusammenhängen, wird vom Bundesrat, den Spitzenverbänden und den meisten Medien weiterhin ignoriert.
Nun bedroht der Lehrpersonenmangel die Bildung, die Grundlage des Schweizer Wohlstands. Erziehungspolitiker, Expertinnen und Leitmedien werweissen über seine Ursachen. Argumentiert wird, die Geburtenfreudigkeit sei gestiegen und die Lehrpersonen seien zu schlecht bezahlt, durch die integrative Schule sowie die vielen Bildungsreformen überfordert und würden zu oft Teilzeit arbeiten. Doch kaum jemand benennt die Wahrheit.
Nicht nur Lehrpersonen-, sondern auch Schulraumknappheit
Zur Lehrpersonen- kommt die Schulraumknappheit. Beide werden vom Wachstum der Schüler- und Schülerinnenzahlen getrieben, das zwei Hauptquellen hat. Erstens stieg die Zahl jährlicher Geburten seit 2007, also seit die Personenfreizügigkeit voll gilt, bis 2019 stark an: bei den Ausländern um 6621 und bei den Schweizern um 5027. Die Hauptursache dafür ist, dass die Zahl der Ausländerinnen und Schweizerinnen im gebärfähigen Alter durch Zuwanderung und Einbürgerung wuchs. Zweitens stieg die Zuwanderung von Familien mit Kindern stark an. So kamen von 2007 bis 2019 jährlich netto rund 9600 Kinder im Alter von 0 bis 14 in die Schweiz. Die Gesamtzahl der ausländischen Kinder wuchs von 2007 bis 2020 um 77’503 an, die der Schweizer Kinder um 51’002. Da zugleich jährlich zwischen 6000 und 11’000 Kinder eingebürgert wurden (wovon viele bis 2020 dem Kindesalter entwuchsen), geht das Wachstum der Schüler- und Schülerinnenzahl grösstenteils auf Zuwanderung zurück.
Natürlich ist die Zuwanderung nicht der einzige Treiber der Lehrpersonenknappheit. Auch die oben erwähnten Faktoren spielen eine Rolle. Doch all diese Faktoren sind bloss Einmaleffekte. Mit den vorgeschlagenen Reformen kann die Lehrpersonenzahl jeweils um einen Schritt erhöht werden. Das zuwanderungsgetriebene Wachstum der Kinderzahl hingegen ist ein Dauereffekt. Um ihn zu bewältigen, müsste die Effizienz des Schulsystems andauernd weiter gesteigert werden. Das ist kaum möglich – nicht nur angesichts des diesbezüglichen Misserfolgs der letzten Schulreformen. Daraus folgt: Die Politik muss gegenüber der Schweizer Bevölkerung und der EU ehrlich sein. Das schnelle Bevölkerungswachstum, wie es die Schweiz in den letzten 15 Jahren erlebt hat, ist langfristig nicht tragbar.
Reiner Eichenberger ist Professor für Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Forschungsdirektor von Crema – Center for Research in Economics, Management and the Arts.