Das Urteil des Bundesrats ist vernichtend. 200 Millionen Franken haben die Schweizer Milchproduzenten in den letzten zehn Jahren ins Marketing gepumpt. Mit dem Geld, das zur Hälfte der Steuerzahler berappt hat, wurde die landesweit grösste Rezeptsammlung aufgebaut, unzählige Milchbars an Open Airs aufgestellt, ein Tag für die Pausenmilch ins Leben gerufen, der Bevölkerung eingetrichtert, dass Milch die Knochen stärkt - und die Werbekuh Lovely zum Tanzen gebracht.
Genützt hat all das wenig: Die Bevölkerung hat immer weniger Lust auf Milch. Eine Wirkung der Absatzförderung auf das Konsumverhalten sei nicht festzustellen, stellt der Bundesrat im Bericht zu den Perspektiven der Milchwirtschaft fest. Er hinterfragt die Kommunikation der Milchproduzenten explizit.
Hehre Versprechen
Doch jetzt soll alles anders - und besser - werden. Diese Woche verabschiedet die Branchenorganisation Milch (BOM), der neben den Bauern auch die Verarbeiter und Grossverteiler angehören, eine sogenannte Mehrwertstrategie. Vermittelt werden soll künftig das Bild gesunder und glücklicher Kühe, die sich ausschliesslich von natürlichem Futter ernähren und genügend Auslauf haben. «Nur wenn es uns gelingt, für die Konsumenten Mehrwerte zu etablieren, mit denen sich Schweizer Milchprodukte deutlich von Konkurrenzprodukten aus dem Ausland abheben lassen, können wir bei offenen Grenzen eine grössere Wertschöpfung und damit verbunden höhere Preise für die Milch erzielen», sagt BOM-Chef Stefan Kohler.
Agrarkonzerne als Nutzniesser
Doch so einfach es ist, neue, mit Bundesgeldern finanzierte Werbekampagnen zu entwickeln, so schwierig ist es, die Versprechen einzulösen. «In der Schweiz wären alle Voraussetzungen erfüllt, um eine konsequente Qualitätsund Nachhaltigkeitsstrategie zu verfolgen», sagt Andreas Bosshard von Vision Landwirtschaft, «doch die Entwicklung läuft in die gegenteilige Richtung.» Und: Gebe es keine realen Anpassungen in der Milchproduktion, sei die neue Mehrwertstrategie nicht mehr als ein Marketing-Gag.
Tatsächlich ist die auf Hochleistung ausgerichtete Milchwirtschaft weit entfernt von einer nachhaltigen Produktion. Und dagegen helfen weder neue Werbestrategien noch Marken-Labels. Denn auch im Grasland Schweiz wird den Kühen immer mehr Kraftfutter verabreicht. 426 000 Tonnen waren es laut Agristat 2015. Pro Kuh wurden damit 744 Kilogramm Kraftfutter verfüttert - so viel wie noch nie. Der Grossteil davon stammt aus dem Ausland. Die Bauern zerstören damit mehr Ernährungssicherheit, als sie schaffen: Allein was den Kühen mittlerweile an Kraftfutter verabreicht wird, braucht Ackerland, das zwei Millionen Menschen zusätzlich ernähren könnte, würden darauf Kulturen für die menschliche Ernährung angebaut.
Sinnlose Hochleistungsstrategie
Dabei ist die Schweiz ein ausgesprochenes Grasland. Nirgendwo sonst auf der Welt wächst ertragssichereres und besseres Grünfutter als im Voralpenraum. «Diese Ressource gilt es, für Wiederkäuer gerecht zu nutzen und zu wertvoller, gut bezahlter Qualitätsmilch zu veredeln», sagt Peter Thomet, emeritierter Professor an der Hochschule für Landwirtschaft in Zollikofen. Eine Hochleistungsstrategie, die auf Kraftfutterimport beruhe, ergebe da wenig Sinn.
Doch gegen eine konsequente Neuausrichtung stemmen sich vor allem die vorgelagerte Industrie und die Verarbeiter. Nicht die Bauern, sondern die Agrarkonzerne sind die hauptsächlichen Nutzniesser der Milchbolzerei. Über 1,5 Milliarden Franken geben die Bauern mittlerweile im Jahr für Futter aus - allein das Unternehmen Fenaco verdient mehrere hundert Millionen Franken am Verkauf von Futtermitteln - im Jahr. «Die Milchproduktion ist ein ökonomischer Durchlauferhitzer», sagt Bosshard. Besonders ärgerlich sei, dass das neue Bundesprogramm für graslandbasierte Milchproduktion, das Anreize setzen sollte für weniger Kraftfuttereinsatz, durch Bauernverband und Milchbranche im letzten Moment so verwässert worden sei, dass auch diese Steuergelder seither völlig wirkungslos verpufften.
Tatsächlich sorgte die hochgetrimmte Milchproduktion zuletzt vor allem für Milchseen und Butterberge - und riss damit den Milchpreis weiter in die Tiefe: «Die mit Kraftfutter erreichte Steigerung der Milchproduktion entspricht ziemlich genau dem Überschuss an Milch, die etwa als Industriemilch zu Tiefstpreisen ins Ausland verkauft werden muss», sagt Bosshard. Dass viele Bauern nicht auf eine Qualitätsstrategie setzen, liegt auch an den Fehlanreizen durch Direktzahlungen des Bundes. Das Geld kommt eben auch rein, wenn man zu teuer und zu viel produziert.
Derweil werden auch aus den Reihen der Bauern kritische Stimmen laut. «Die besten Werbespots bringen nichts, wenn wir nicht glaubwürdig unsere Werte leben», sagt Christof Baumgartner, Vorstandsmitglied der Thurgauer Milchproduzenten. Wir müssen nun die Gelegenheit packen und die schlimmsten Verträge mit dem Teufel unterbinden.» Damit meint er Betriebe, welche einen sehr hohen Anteil an Kraftfutter in der Ration aufweisen. Oder Betriebe, die ihre Kühe überhaupt nicht auf die Weide lassen - obwohl das Land direkt an den Stall grenzt. Das seien zwar Extrembeispiele, die zur Ausnahme gehörten, sagt Baumgartner, «aber die Zahl von Höfen solcher Ausprägung nimmt zu.»
Öko-Diktat bei Migros und Emmi
Baumgartner fordert, dass im Branchenreglement des Suisse-Garantie-Labels der Kraftfutteranteil auf 15 Prozent beschränkt und regelmässige Weidehaltung für sämtliche Betriebe vorgeschrieben wird. Doch beim Verband Schweizer Milchproduzenten stösst er auf taube Ohren. «Unsere Milchproduzenten leisten gegenüber anderen Ländern viel im Bereich Tierwohl, Gesundheit und Natürlichkeit», sagt Sprecher Reto Burkhardt. Zusätzliche gesetzliche Regulierungen brauche es nicht, höhere Anforderungen müssten durch höhere wirtschaftliche Anreize abgegolten werden.
Die Milchabnehmer allerdings ziehen die Schraube an. Die Migros plant, die Öko-Auflagen für ihre Milchlieferanten mittelfristig zu verschärfen. Sie gleist derzeit ein Pilotprojekt auf, das strengere Standards punkto Tiergesundheit, Kraftfutterverzehr und Biodiversität vorsieht.
Und Emmi setzt sich zum Ziel, dass alle Milchlieferanten die Kühe bis 2020 in einem Laufstall halten oder diese regelmässig auf die Weide lassen und den Tieren hauptsächlich Gras und Heu verfüttern. Das Unternehmen will damit die Wettbewerbsfähigkeit von Schweizer Milchprodukten sicherstellen: «Die ausländischen Milchbauern haben Fortschritte gemacht und den Abstand zu den Schweizer Milchbauern - insbesondere hinsichtlich Umweltschutz und Tierwohl - verkleinert», begründet eine Sprecherin. Da der Milchpreis in der Schweiz deutlich höher sei, müssten die Bauern und Verarbeiter etwas tun, um den Preisunterschied zu rechtfertigen.