Grossbritanniens Schatzmeister Jeremy Hunt hat das umstrittene Wirtschaftsprogramm von Premierministerin Liz Truss auf den Kopf gestellt: Er streicht Steuersenkungen und schafft die Unterstützung für Haushalte bei den Energierechnungen ab. Damit will er die öffentlichen Finanzen wieder in Ordnung bringen.
Das Sparpaket in Höhe von 32 Milliarden Pfund bleibt aber hinter den 70 Milliarden Pfund zurück, welche die Regierung nach Ansicht von Ökonomen aufbringen muss, um ihre Glaubwürdigkeit bei Investoren wiederherzustellen. Die steigende Inflation und das stotternde Wachstum haben die Steuereinnahmen stark geschmälert.
Weitere Einsparungen sollen kommen
Zusammen mit früheren Kehrtwendungen machen die Beschlüsse fast alle von Truss Anfang September angekündigten Steuersenkungen und -geschenke in Höhe von 45 Milliarden Pfund rückgängig. Damit kommt erneut die Frage auf, ob sie im Amt bleiben kann. Hunt signalisierte, dass er in den kommenden Wochen wahrscheinlich noch stärkere Ausgabenkürzungen vornehmen wird.
Die Premierministerin will auch nach der demütigenden Kehrtwende bei so gut wie allen politischen Projekten im Amt bleiben. Ihr Fokus liege weiterhin darauf, «zu liefern», sagte ein Regierungssprecher am Montag auf die Frage, ob Truss Konsequenzen aus ihrem Scheitern bei ihrer Steuerpolitik und der Deckelung der Energiepreise ziehen werde. Die konservative Regierungschefin ist erst seit Anfang September im Amt.
Hunt sagt in seinen Ausführungen, er fürchte, dass es weitere schwierige Entscheidungen geben werde – «sowohl bei den Steuern als auch bei den Ausgaben, wenn wir unsere Verpflichtung einhalten wollen, die Schulden mittelfristig zu senken». Der Schutz der «Schwächsten» werde Vorrang haben.
Der neue Finanzminister wird am Montag um 16.30 Uhr Schweizer Zeit in London vor dem Unterhaus weitere Einzelheiten bekannt geben. Ausserdem will er am 31. Oktober einen vollständigen Finanzplan vorlegen.
Die Märkte reagierten positiv auf die Nachricht, dass Hunt eine Erklärung abgeben wird. Das Pfund legte um mehr als 1 Prozent zu, und die Kreditkosten der Regierung sanken. Hunt hofft, dass sich die Märkte weiter erholen, da bessere Wachstumsaussichten und niedrigere Marktzinsen auch dazu beitragen werden, den fiskalischen Schaden zu beheben.
Im Widerspruch mit dem Ansatz von Truss
Seit Hunt vor drei Tagen das Finanzministerium übernommen hatte, hat er einen radikal anderen finanzpolitischen Ansatz als Truss skizziert und gesagt, dass die Steuern steigen und die Ausgaben gekürzt werden müssten. Dies war Teil des Versuchs, einen weiteren drastischen Anstieg der Kreditkosten des britischen Staates zu verhindern.
Das steht jedoch im Widerspruch zu den Versprechen, die Truss während des Wahlkampfs für die Führung der konservativen Partei gegeben hatte.
«Wir schätzen, dass diese Massnahme nur einen Teil des Weges zurück zu einer nachhaltigen Verschuldung darstellt. Es sind noch mindestens 28 Milliarden Pfund an weiteren Einsparungen oder Einnahmeerhöhungen erforderlich», so Jamie Rush von «Bloomberg Economics».
Das Ansehen des Vereinigten Königreichs auf den Märkten könnte dauerhaft geschädigt worden sein. Und gleichzeitig hat der Gouverneur der Bank of England, Andrew Bailey, angedeutet, dass die Zinssätze höher bleiben müssen als bisher erwartet. «Das ist, was unserer Meinung nach von der Regierung und der Zentralbank benötigt wird, um den Schaden zu begrenzen», so Rush.
Truss war bereits zu einer Reihe von Kehrtwendungen gezwungen, nachdem die Anleger das Pfund und die Staatsanleihen nach ihrer Forderung nach 45 Milliarden Pfund an nicht finanzierten Steuersenkungen abgestossen hatten. Sie hat Hunts Vorgänger Kwasi Kwarteng entlassen und Pläne zum Einfrieren der Körperschaftssteuer und zur Senkung des Spitzensteuersatzes auf Eis gelegt.
Nach Berechnungen von «Bloomberg Economics» ist ein Haushaltsloch von 28 bis 50 Milliarden Pfund zu stopfen – je nachdem, wie schnell die Schulden abgebaut werden.
(bloomberg/sda/mth)