Die Traktorproteste der Bauern und Bäuerinnen begannen in Deutschland wegen der geplanten Aufhebung der Dieselverbilligung und der zollbefreiten Weizenimporte aus der Ukraine. Wie ein Woke-Lauffeuer verbreiteten sie sich in Frankreich, dann in Belgien und den Niederlanden und mit der üblichen Verspätung auch in der Romandie bis in den Kanton Zürich.
In ganz Europa gingen die Regierungen äusserst behutsam und konzessionsbereit auf die Protestbauern und -bäuerinnen zu. Das wurde sogleich auch in der Schweiz wirksam. Das Parlament machte die vorgesehenen Subventionskürzungen im Agrarbereich rückgängig.
Wenn man die Einkommenslage der Schweizer Bäuerinnen und Bauern mit jener im Ausland vergleicht, ist hierzulande die Situation dank dem Zollschutz mit 3,3 Milliarden Franken Importzuschlägen und den 2,8 Milliarden Direktzahlungen an 48’000 Betriebe komfortabel. Dabei gibt es grosse Einkommensunterschiede zwischen Tal- und Bergbetrieben im Verhältnis von fast zwei zu eins. Von 2014 bis 2021 sind die kalkulatorisch errechneten Medianjahreslöhne unserer Landwirte und Landwirtinnen um 36 Prozent angestiegen. Bei den Arbeitnehmenden in der Industrie und im Dienstleistungssektor haben sie im Mittel bloss um 3,7 Prozent zugenommen.
Der Gastautor
Rudolf Strahm ist ehemaliger Preisüberwacher und Ex-SP-Nationalrat.
Weil die Zahl der Höfe bei gleichbleibender Direktzahlungssumme von Jahr zu Jahr abnimmt, kassieren Grossbetriebe immer mehr. Im wenig aussagenden Durchschnitt sind es heute rund 58’000 Franken pro Betrieb. Ein Grossbetrieb kann aber vom Bund leicht über 100’000 Franken beziehen, 800 Höfe erhalten sogar über 200’000.
Der Bauernpräsident Markus Ritter ist wohl einer der einflussreichsten – und auch unbeliebtesten – Strippenzieher im eidgenössischen Parlament. Er hat eine der grössten Parlamentariergruppen hinter sich, obschon nur noch 2,5 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebt und diese bloss 0,6 Prozent der BIP-Wertschöpfung produziert. Mit seinem politischen Schulterschluss «Perspektive Schweiz» 2022 mit Economiesuisse, Gewerbeverband und Arbeitgeberverband konnte er diesen teils angeschlagenen Dachverbänden Unterstützung bei ihren Volksabstimmungen anbieten und sie gleichzeitig in Geiselhaft nehmen.
Die politische Konsequenz dieser «Geld-und-Gülle-Allianz», wie die Kritikerinnen und Kritiker sagen, ist eine neue Welle des Agrarprotektionismus, mit noch perfekterem Zollschutz, mit monopolistisch regulierten Agrarpreisen durch die Verbände und – was besonders ins Gewicht fällt – mit einer faktischen Vetoposition bei zukünftigen Freihandelsabkommen (FHA). Bekanntlich ist das FHA mit den USA daran gescheitert, und ein Mercosur-Abkommen kommt deshalb nicht voran.
Die Argrarwerbung, die mit Bundesgeldern von rund 40 Millionen Franken jährlich finanziert wird, schafft ein Trug-Image von Bauernhöfen: Die bundesfinanzierte Proviande-Werbung mit gackernden Hofhühnern und fröhlichen Kälbern täuscht die Konsumenten und Konsumentinnen bezüglich «Schweizer Fleisch», denn in der Realität werden pro Jahr 1,4 Millionen Tonnen Futtermittel aus dem Ausland importiert, davon 60 Prozent Kraftfutter mit hohem Energie- und Eiweissgehalt, wie etwa Soja aus Brasilien.
Befürworter einer akzeptablen Marktöffnung möchten zertifiziertes Weidefleisch aus Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay in der Schweiz zulassen. Damit würde ein Mercosur-Abkommen mit den vier aufstrebenden Ländern Südamerikas beim Volk hoffähig. Doch der Staat bleibt auch in dieser Frage in Geiselhaft.
1 Kommentar
"En guete" mit Wein und Tomatenmark aus China, Pasta "al bronzo" aus Italien mit Non-EU Getreide aus der Ukraine und tiefgefrorenem Fleisch aus allen Kontinenten.
Das Problem ist die zunehmende Finanzialisierung des Sektors. So fahren zwar alle Protestierenden die neuesten geleasten Traktoren aber haben ihre Acker schon verpfändet und können sich die Raten nicht mehr leisten.
Die Leute (nicht nur die Bauern) brauchen mehr Geld für ihre Arbeit in der Tasche und zwar reichlich denn an der Teuerung sind Zentralbanken und Regierungen schuld.
Die Zentralbanken haben das Geld gedruckt und vor allem die amerikanische Regierung hat es ab 2020 den Bürgern fürs Nichtstun in die Taschen gestopft.
Damit kam dann in Amerika die nachfragegetriebene Inflation und in Europa die angebotsgetriebene Inflation ins Rollen zusätzlich zu den durch jahrelange Negativzinsen schon überhöhten Vermögenspreisen.
Norbert Blüm zitierte seinen Vater daß es bei einem Fehler sich so verhält wie bei einem falsch zugeknöpften Hemd: Man muß immer zum Ursprung des Fehlers zurückkehren um ihn beseitigen zu können.