Die Schweiz, die ewige Musterschülerin, ist es gewohnt, ganz vorne mitzumischen. Dass wir zu den Besten gehören, belegen zahlreiche Rankings. Kostprobe? Global Innovation Index: Platz eins. BIP pro Kopf: Platz zwei. Globales Hochschulranking: Platz sechs (ETH Zürich).

Isabel Martínez arbeitet an der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, ein Schwerpunkt ihrer Forschungsarbeit liegt auf Verteilungsfragen. Die promovierte Ökonomin gehört dem internationalen Forschungsnetzwerk des Volkswirtschaftlers Thomas Piketty an, das eine Weltungleichheitsdatenbank aufbaut: WID.world.

Auch bei der Schuldenquote gehören wir zu den Besten, zu den besonders Sparsamen. Der Bund (und die Mehrzahl der Kantone) navigiert mithilfe der Schuldenbremse durch das Meer verführerischer staatlicher Konsummöglichkeiten. So produzierte der Bund fleissig Jahr für Jahr saftige Überschüsse und baute Schulden ab.

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Auf unsere Schuldenbremse sind wir mindestens so stolz wie auf unseren innovativen Werkplatz und das duale Bildungssystem. Wehe dem, der es wagte, daran zu zweifeln, ob wir es nicht vielleicht etwas übertreiben mit unserer Disziplin und ob man nicht da und dort das Geld sinnvoller einsetzen könnte. Komme nicht infrage, man müsse schliesslich sparen für schlechte Zeiten.

Staatlich verordneter Winterschlaf

Wenn eine Pandemie die Welt seit einem Jahr in Atem hält, sind das schlechte Zeiten. Richtig schlechte Zeiten. Im Frühling mussten wir das öffentliche und gesellschaftliche Leben zum Stillstand bringen, und auch jetzt operieren wir auf Sparflamme in unserem staatlich verordneten Winterschlaf.

«Die Tragbarkeit von Schulden lässt sich auch nicht an einer bestimmten Schuldenquote festmachen.»

Dass sich derselbe Staat in der zweiten Welle dermassen schwertat damit, den bereits arg gebeutelten Unternehmen grosszügig und vor allem rasch unter die Arme zu greifen, war kaum mitanzusehen. Einem Finanzminister, der lamentiert, die zusätzlichen Schulden von 30 Milliarden würden uns wieder dorthin bringen, wo wir mit der Schuldenbremse begonnen haben, und der die Schweiz schon in den Fussstapfen Italiens sieht, fehlt der Blick für das grosse Ganze.

Zudem unterliegt er einer Geldwertillusion, denn zusätzliche 30 Milliarden Schulden würden uns zwar nominell auf den Stand von 2001 bringen – aber nicht in Prozent des BIP.

Doch die Tragbarkeit von Schulden lässt sich auch nicht an einer bestimmten Schuldenquote festmachen. Zwar behaupteten Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff in ihrer viel zitierten Studie von 2010, ab einer Verschuldung von 90 Prozent des BIP leide das Wachstum. Aber dieser Befund war teilweise auf einen Fehler in einer Excel-Tabelle zurückzuführen.

Hauptsache Investitionen

Fakt ist: Auch die Forschung tappt im Dunkeln und wir wissen nicht, welche Schuldenquote gerade noch tragbar ist. In Japan beträgt sie 237 Prozent, in den USA 109 Prozent, in Afghanistan 6 Prozent.

Viel wichtiger ist die Frage, wofür wir Schulden aufnehmen. Sinnvoll sind Investitionen, deren Beitrag zum künftigen Wirtschaftswachstum insgesamt höher ist als die dadurch verursachten Zinsen. Letztere sind derzeit negativ.

Wir sollten uns deshalb darauf konzentrieren, die Wirtschaftsstrukturen möglichst intakt durch diese Krise zu bringen und Investitionen tätigen, die die Produktivität und Innovationskraft des Standorts Schweiz fördern. Damit wir auch in Zukunft Spitzenplätze belegen – und so nebenbei der Schuldenlast entwachsen.