Die Europäische Union (EU) und Grossbritannien haben sich im jahrelangen Brexit-Streit über den Umgang mit Nordirland geeinigt. Der britische Premierminister Rishi Sunak teilte am Montag auf einer Pressekonferenz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Windsor mit, dass das ursprüngliche Nordirland-Protokoll modifiziert werde, das den Umgang mit der britischen Provinz vor allem in Zoll- und Grenzfragen nach dem Brexit regelt. Die Vereinbarung sei der Beginn eines neuen Kapitels in den beiderseitigen Beziehungen.

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Man habe einen Weg gefunden, die Unsicherheit für Nordirland zu beenden. Die Einigung auf das sogenannte «Rahmenabkommen von Windsor» werde einen reibungslosen, freifliessenden Handel ohne Grenze in der Irischen See ermöglichen. Von der Leyen gab sich ebenfalls zuversichtlich, dass die Einigung funktionieren werde, da strenge Sicherheitsmassnahmen ausgehandelt worden seien. Die deutsche Wirtschaft reagierte erleichtert.

Angst vor neuem Nordirland-Konflikt

Im Zentrum des langwierigen Streits stand das sogenannte Nordirland-Protokoll. Dabei handelt es sich um einen Zusatz zum eigentlichen Brexit-Vertrag von 2020. Das Protokoll regelt den Warenverkehr zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland. Hintergrund ist, auf der irischen Insel keine harte Grenze entstehen zu lassen mit entsprechenden Kontrollen zwischen den beiden eng miteinander verwobenen Nachbarn - da andernfalls ein Wiederaufflammen des jahrzehntelangen Nordirland-Konflikt befürchtet wird.

Es gab die Sorge, dass zwischen pro-britischen Unionisten, die in der Mehrheit protestantisch sind, und Befürwortern einer Wiedervereinigung Nordirlands mit der Republik Irland, die überwiegend zum katholischen Lager zählen, neue Gewalt ausbrechen könnte.

Die eigentliche Zollgrenze wurde deshalb in die Irische See verlegt. Nordirland blieb so Teil des EU-Binnenmarkts, musste deshalb aber auch einige EU-Regeln einhalten, obwohl es mit Inkrafttreten des Brexits nicht mehr zur EU gehörte. Die Kontrollen auf See liessen zudem Probleme im innerbritischen Handel entstehen. Das schürte in London und vor allem bei nordirischen Protestanten die Befürchtung, dass die britische Provinz faktisch vom Rest des Vereinigten Königreichs abgetrennt werden könnten. Die Regierung in London wollte den Vertrag deshalb nachverhandeln.

Britische Universitäten können an «Horizon» teilnehmen

Das nordirische Parlament soll nach Worten Sunaks in dem neuen Abkommen mit der so genannten «Stormont-Bremse» (benannt nach dem Parlament in Belfast) Änderungen bei Regeln zu EU-Gütern stoppen können. Bei Anwendung der Bremse habe die britische Regierung jedoch ein Vetorecht. Von der Leyen sagte, sie hoffe, dass beide Seiten bei der Einführung von neuen Gesetzen und regulatorischen Änderungen das Gespräch suchten. Bei Differenzen müsse der Europäische Gerichtshof eine endgültige Entscheidung treffen.

In dem neuen Rahmenabkommen wurde auch vereinbart, dass der bürokratische Aufwand für Unternehmen verringert werden soll. Demnach werden Waren, die nur nach Nordirland geliefert werden, und Güter, die weiter in die EU befördert werden, künftig in «grüne» und «rote» Spuren getrennt. Ausserdem soll die britische Regierung die Mehrwertsteuer in Nordirland in Zukunft in den meisten Fällen frei bestimmen können.

Dasselbe gilt für Steuererleichterungen, die die britische Regierung Firmen gewährt. Die Unternehmen in Nordirland hielten sich bisher an die EU-Vorschriften. Von der Leyen stellte zudem eine Beteiligung der britischen Universitäten am milliardenschweren Forschungsprogramm «Horizon» in Aussicht. Sie versprach, dass sich die EU «unverzüglich» darum bemühe, die Kooperation mit Grossbritannien bei dem Programm wiederaufzunehmen.

Pro-britische DUP sieht Einigung kritisch

Noch am Montag wollte Sunak auch das Parlament informieren. Die pro-britische Partei DUP in Nordirland, die bis zuletzt skeptisch mit Blick auf das Protokoll blieb, teilte mit, sie wolle die Details der Einigung nun unter die Lupe nehmen. Sunak will die Partei hinter sich bringen. Sie blockiert aus Protest gegen das Protokoll seit Monaten eine Regierungsbildung in dem britischen Landesteil.

Grossbritannien ist nach einer Volksabstimmung seit rund drei Jahren nicht mehr EU-Mitglied. Der Streit hatte die Beziehungen zwischen Grossbritannien und der EU deutlich belastet.

Wichtiger Handelspartner der EU

In der europäischen Exportwirtschaft sorgte die sich abzeichnende Einigung für Erleichterung. Dies sei dringend nötig, um den Negativtrend im Grossbritannien-Geschäft zu stoppen, sagte der Aussenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Volker Treier. «Der EU-Austritt Grossbritanniens hat die engen Handelsbeziehungen in den letzten Jahren deutlich erschwert - und weiterhin herrscht erhebliche Planungs- und Rechtsunsicherheit für deutsche Unternehmen.»

Während Grossbritannien 2016 noch drittwichtigster Exportmarkt Deutschlands gewesen sei, habe das Land 2022 nur noch auf dem achten Rang gelegen. Gefährlich seien britische Pläne zum Abweichen von EU-Regeln etwa im Datenschutz, bei Lebensmitteln oder in der Chemie.

(reuters/gku/mbü)