Mit Ablauf des Jahres 2015 wird Adolf Hitlers menschenverachtendes Bekenntnisbuch «Mein Kampf» gemeinfrei. Denn am 1. Januar 2016 läuft der urheberrechtliche Schutz aus, mit dem das Land Bayern als Inhaber der Nachlassrechte bisher jede vollständige Wiederveröffentlichung in Buchform verhindern konnte - zum Ende des Kalenderjahres 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers.

Deutsche Politiker fürchten, dass dann rechtsextreme Verlage stapelweise Nachdrucke des Buches herausbringen könnten - mit schlimmen Folgen für das deutsche Ansehen in der Welt. Deshalb prüft jetzt auch die Bundesregierung, ob und wenn ja mit welchen Mitteln über Ende 2015 hinaus Nachdrucke des vollständigen Textes von «Mein Kampf» verhindert werden kann.

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Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der SPD-Bundestagfraktion hervor, die jetzt vom Bundestag veröffentlicht worden ist. Darin heisst es zwar zunächst nur vorsichtig: «Die rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Ablauf der Schutzdauer werden derzeit von der Bundesregierung geprüft.»

Bayern hat sich festgelegt

Weiterhin betonen die Regierungsjuristen, dass Strafverfolgung grundsätzlich Sache der Bundesländer sei. Bayerns Innenminister Joachim Hermann hatte gegenüber der «Welt» Ende Februar klar Position bezogen: «Der Originaltext hat nach dem geltenden Gesetz eindeutig volksverhetzenden Charakter.» Zu dieser Festlegung hält sich die Regierungsantwort vornehm bedeckt. Es gebe «keine veröffentlichte Rechtssprechung» zu der Frage, ob eine Wiederveröffentlichung von «Mein Kampf» gegen den Paragrafen 130 des Strafgesetzbuches verstosse, also das Verbot volksverhetzender Propaganda.

Einen Verstoss gegen Paragraf 86 Strafgesetzbuch, der das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungsfeindlicher Organisationen unter Strafe stellt, sieht die Regierung unter Hinweis auf höchstrichterliche Rechtssprechung nicht. Denn die NSDAP war ja schon 1945 verboten worden, also vier Jahre vor Inkrafttreten des Grundgesetzes.

Trotz dieser weichen, vermutlich bewusst vagen Ausführungen bezieht die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die vorletzte Frage der SPD-Abgeordneten überraschend deutlich Position. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, von 2005 bis 2009 Aussenminister der Grossen Koalition, und seine Kollegen hatten wissen wollen, ob die israelische Regierung in Sachen «Mein Kampf» bereits an die Bundesregierung herangetreten sei.

Aussenpolitische Interessen

«Im Rahmen der engen und vertrauensvollen Arbeitskontakte der Bundesregierung mit der Regierung des Staates Israel» sei tatsächlich darüber gesprochen worden, hält die Antwort fest und fährt dann unmissverständlich fort: «Es besteht ein gemeinsames Interesse an einer wirksamen Verhinderung der Verbreitung dieses menschenverachtenden Gedankenguts.» Erstaunlich daran ist, dass hier eine Diskrepanz zwischen innen- und rechtspolitischen Massstäben einerseits und aussenpolitischen Interessen andererseits erkennbar wird.

Denn unzweifelhaft muss die Frage, ob und wenn ja in welcher Form «Mein Kampf» ab 2016 wieder veröffentlicht werden darf, innenpolitisch vor allem an Artikel 5 des Grundgesetzes gemessen werden, der Presse- und der Wissenschaftsfreiheit. Diese Rechte gelten zwar nicht uneingeschränkt, sondern nur im Rahmen der gültigen Gesetze, also zum Beispiel des Verbots der Volksverhetzung. Angesichts des möglichen aussenpolitischen Schadens sieht sich die Bundesregierung aber offensichtlich genötigt, eine Vorfestlegung zu treffen. Anders ist das beschriebene «gemeinsame Interesse» mit der israelischen Regierung nicht zu verstehen.

Damit stellt sich die Bundesregierung gegen fast ausnahmslos alle Zeithistoriker. Ohne nennenswerte Ausnahme plädieren die Fachleute nämlich für eine kommentierte und wissenschaftlichen Kriterien entsprechend edierte Ausgabe von «Mein Kampf». Tatsächlich scheint eine solche Ausgabe überfällig, denn der Originaltext von Hitlers sprachlich und intellektuell äusserst dürftigem Machwerk ist auf Dutzenden Internetseiten herunterzuladen, was bisher weder mit Mitteln des Urheber- noch des Strafrechtes verhindert werden konnte.

Editionsprojekt wohl nicht betroffen

Angesichts dessen hat sich das renommierte Institut für Zeitgeschichte entschlossen, Ende 2015 eine kommentierte Edition von «Mein Kampf» herauszubringen, als Bibliotheksausgabe und möglicherweise sogar frei verfügbar im Internet. Damit soll die alleinige Präsenz der unkommentierten Versionen im Netz konterkariert werden.

Zu dieser seit einiger Zeit mit Unterstützung Bayerns betriebenen Ausgabe stellt die Bundesregierung fest: «Das genannte Vorhaben des Instituts für Zeitgeschichte geht nicht auf eine Initiative der Bundesregierung zurück.» Weil aber anschliessend festgestellt wird: «Das Vorhaben kann allerdings im Sinne einer fundierten historischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Diktatur sachgerecht sein», dürfte die Haltung der Bundesregierung bis auf weiteres so sein, dass ein Verbot unkommentierter oder kommerzieller Ausgaben von «Mein Kampf» aus aussenpolitischen Gründen unterbunden, die wissenschaftliche Edition jedoch nicht behindert werden soll.

Der Artikel erschien am 2. April 2013 in der Ausgabe der deutschen Tageszeitung «Die Welt»