Die Schweiz könnte im Rahmen der sogenannten «hybriden Konfliktführung» von Cyberangriffen oder Spionage gegenüber in der Schweiz stationierten Diplomatinnen und Diplomaten und internationalen Organisationen betroffen sein, wie Pälvi Pulli in einem am Donnerstag in den Zeitungen von «CH Media» veröffentlichten Interview sagte.
Theoretisch denkbar seien auch Störungen bei grenzüberschreitenden kritischen Infrastrukturen, etwa im Energie- und Kommunikationsbereich. Als Folge eines Krieges seien auch Migrationsbewegungen in die Schweiz möglich. Bereits beobachtet würden mögliche Desinformationsaktivitäten in den sozialen Medien, sagte Pulli.
Mit einem bewaffneten Angriff auf die Schweiz rechnet sie allerdings nicht. Die Schweiz müsse angesichts der «gravierenden Auswirkungen» einer solchen Bedrohung aber trotzdem auch darauf vorbereitet sein. Das VBS habe immer betont, dass bewaffnete Konflikte nicht durch neuartige Bedrohungen, also etwa durch Cyberangriffe, verdrängt würden. Aus diesem Grund werde auch die Ausrüstung der Armee mit neuen Kampfflugzeugen und einer neuen bodengestützten Luftverteidigung "modernisiert".
Weltordnung vor einer Zeitenwende
Auch mit einer Involvierung der Nato in einem Krieg rechnet Pulli nicht. Weder Russland noch die Nato hätten ein Interesse an einer direkten bewaffneten Konfrontation. Klar sei aber: Dieser Konflikt und die damit verbundenen Spannungen würden nicht so schnell wieder verschwinden. «Man kann deshalb von einer Zeitenwende, vielleicht einem epochalen Wechsel in der internationalen Sicherheitspolitik ausgehen.»
Dass ein ständiges Mitglied des Uno-Sicherheitsrats die Legitimität eines grossen, europäischen Staats in Frage stellt oder diese sogar verneine, sei aussergewöhnlich. «Zurück zum Courant normal wird es so schnell nicht gehen. Die Lage ist besorgniserregend und volatil.»
Putin will Zeit zurück drehen
Insgesamt seien die Folgen eines allfälligen Krieges auf die globale sicherheitspolitische Lage noch schwer abzuschätzen. Die «regelbasierte Ordnung» sei aber noch nicht am Ende, sagte Pulli. «Wir haben momentan einen Staat, wenn auch einen wichtigen, der diese regelbasierte internationale Ordnung in Frage stellt und Staatsgrenzen verändern will.» Man habe den Eindruck bekommen, Russland wolle die Zeit um dreissig Jahre zurückdrehen. Doch der Rest der Welt habe sich verändert seit dem Ende der Sowjetunion.
Die russische Regierung unter Wladimir Putin vertrete schon seit längerem ein Weltbild, das auf Einflusssphären basiere und in dem das Selbstbestimmungsrecht und die territoriale Integrität von Staaten offenbar wenig Gewicht hätten. «Wir sollten deshalb nicht aufhören, die Idee der Macht des Rechts gegenüber dem Recht des Mächtigen zu verteidigen», sagte Pulli. Die Schweiz werde sich weiterhin zu diesen Werten bekennen und sich dafür einsetzen.
(sda/tdr)