Der Spitzenvertreter des Zürcher Gewerbeverbandes klingt besorgt. «Jetzt wird alles viel schwieriger! Die Bürgerlichen haben die Mehrheit verloren.» Die Rede ist von der Wahl am vergangenen Sonntag im Kanton Zürich. Die SVP verlor stark, die Grünen legten zu und die Grünliberalen siegten deutlich.
Gegenfrage: Sind denn Grünliberale keine Bürgerlichen? Er zögert nicht: «Sie haben uns nicht geholfen!»Die Nerven bürgerlicher Wirtschaftspolitiker liegen blank. Sie treibt die Frage um: Wie verändert sich die Politik, sollte die Grünliberale Partei (GLP) auch die nationalen Wahlen im Herbst gewinnen? Man rechnet sie dem linken Lager zu, das der Wirtschaft gerne Vorschriften macht.
«Ihren Gelbwesten-Moment hatte die Grünliberalen 2015.»
Das Gegenteil sei wahr, meint indes die 31-jährige Co-Präsidentin und urbanes Aushängeschild der Zürcher Grünliberalen, Corina Gredig. Sie sagt, sie wolle so politisieren, dass der Kanton «offen, unkompliziert, bürger- und unternehmernah» werde. Auch im Parteiprogramm steht, der Staat solle der Wirtschaft «möglichst wenig Schranken auferlegen». Unternehmertum solle «nicht durch Bürokratie unnötig eingeschränkt werden» – Sätze, die in den Programmen von FDP und SVP stehen könnten. Und dennoch verläuft ein Graben zwischen dem Gewerbe und den Grünliberalen.
Sie kämpfen gegen Pfründen gewisser bürgerlicher Klientel
Der Konflikt erstaunt, bewirbt sich die Partei etwa im Kanton Bern mit einer separaten «KMU-Wahlliste» beim Publikum. Ihr Präsident ist der Unternehmer Jürg Grossen, Nationalrat und Mitinhaber eines Elektroplanungsbüros in Frutigen BE und zweier Tochterfirmen. Auch er betont, er vertrete «die Interessen von international tätigen Firmen genauso wie von Startups und KMU».
Eine Erklärung liefert der oberste Parteisekretär und Berner Grossrat, Michael Köpfli. Der 36-jährige Ökonom sitzt in der Finanzkommission und kennt die Debatte. «Wir rütteln mit unseren Vorstössen öfters an den Pfründen der Klientel der Bürgerlichen und der Gewerbeverbände. Wenn wir damit aufräumen wollen, wehren sich deren Interessenvertreter – und diffamieren uns als Gegner der Wirtschaft.»
Als Beispiel nennt er die protektionistischen Regeln für Berufsstände wie Notare. «Diese werden von SVP und FDP eisern verteidigt.» Auch die Energiewende führt zu Streit. «Die Erdöllobby versucht den Ersatz von Öl für Heizungen durch erneuerbare Energien zu verhindern», so Köpfli.
Der Gelbwesten-Moment
Die Partei steht oft im Spagat zwischen dem Willen zu Staatseingriffen für den Umweltschutz und propagierter wirtschaftspolitischer Zurückhaltung. Seit 2007 gibt es die nationale Partei. Sie ist in diesem Spagat oft auf die Nase gefallen. Zuletzt war dies mit der dirigistischen Vorlage «Grüne Wirtschaft» des Bundesrates der Fall. Sie hätte dem Bund einen Freipass für Vorschriften zur Kreislaufwirtschaft gegeben. Die Vorlage scheiterte.
Ihren Gelbwesten-Moment hatte die GLP 2015. So wie der französische Präsident Macron im Kleinen mit der Benzinsteuer, wollte die GLP den grossen Umbau: Die Mehrwertsteuer abschaffen und eine Energiesteuer einführen, die den Verbrauch von Gas, Öl und Benzin stark verteuert hätte. Es ging um 20 Milliarden. Das Volk lehnte die Steuer mit 92 Prozent Nein-Anteil ab. Der Erfinder und langjährige GLP-Präsident Martin Bäumle erhielt eine schallende Ohrfeige.
Es kam noch schlimmer. Ein halbes Jahr später verlor Bäumle die Wahlen. Der Atomausstieg war out, die Flüchtlingskrise in. Ihre Abordnung im Nationalrat schmolz von elf auf sieben und den einzigen Ständeratssitz verlor die Partei auch. Sie war am Tiefpunkt angelangt – ein Wendepunkt.
2016 kam mit Köpfli ein neuer Generalsekretär. Effizient, eloquent und beharrlich trimmt er seitdem die Partei auf eine Linie. «Er ist ein wichtiger Stratege im Hintergrund», sagt der Politologe Michael Hermann. Ein Jahr später übernahm Grossen das Präsidium von Martin Bäumle.
Seit seinem Rückzug erhalten die Nationalrätinnen Tiana Angelina Moser, Fraktionschefin, und Kathrin Bertschy, Mitglied der Wirtschaftskommission, mehr Beachtung. Sie sind die Zugpferde. «Über sie berichten die Medien gerne, was für eine Partei wichtig ist», sagt Hermann. So porträtierte die Zeitung «Der Bund» Bertschy nach Bekanntgabe ihrer Ständeratskandidatur im Herbst mit «Junge Frau gegen alte Männer».
Nach dem Wahlsieg in Zürich fallen weitere, neue Gesichter auf. Von Gredig war schon die Rede. Sie ist zusammen mit Bertschy die Erfinderin einer experimentellen Form von Bürgerbeteiligung genannt Glp Lab. In diesem Verein können sich auch Nichtparteigänger mit Vorschlägen etwa zu Rahmenabkommen, Drogenpolitik oder Arbeitsrecht einbringen. «So finden wir talentierte Leute ohne Ambitionen auf ein lokales Amt. Sie können sich leichter zu nationalen Fragen einbringen, als dies bei grossen Parteien der Fall ist», sagt Köpfli.
Weitere Netzwerke arbeiten für die Partei. Wirtschaftspolitisch sticht der Verband Swisscleantech hervor. Er bündelt die Interessen von 280 in der Umwelttechnik tätigen Firmen. Er sieht sich als Konkurrenz zu Economiesuisse und Gewerbeverband. Grossen sitzt dort im Vorstand, ebenso die frühere Co-Geschäftsführerin Franziska Barmettler, die jetzt für die GLP ins Zürcher Parlament zieht.
Beteiligt an Gegenbewegung zu Blocher
Barmettler ist wiederum im Vorstand der beachteten Kampagnengruppe Operation Libero. Sie entstand 2014 als Gegenbewegung zu Blochers SVP-Abschottungsinitiativen. Dort sitzt ein weiterer GLPler im Vorstand, der in Bern als Nationalrat kandidiert: Stefan Schlegel. Der Jurist kämpft für mehr Akzeptanz Migranten gegenüber.
Schlegel und der zweite Zürcher Co-Präsident, Nicola Forster, wiederum teilen sich die Leidenschaft zur Aussenpolitik im Think-Tank Foraus. Schlegel war Vorstandsmitglied, Forster ist der Gründer und heutige Präsident. «Inzwischen beschäftigen wir 14 Leute und haben ein Budget von über 1 Million Franken», sagt der 34-Jährige. Forster erfand auch Operation Libero. «Diese Erfahrungen helfen uns jetzt mit der GLP», sagt der Innovationsberater. So nahm Foraus kürzlich innenpolitisch Einfluss mit einer Lösung zum kritisierten Rahmenabkommen. «Dieser ermöglicht SP und Gewerkschaften, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.»
Eine neue Allianz von FDP und SP in der Europafrage wäre für die Grünliberalen allerdings von Nachteil. Heute ist die SP links-gewerkschaftlich dominiert. Der FDP fehlt ein linksliberaler Flügel. Solange dies so bleibt, hat es «viel Platz für die Grünliberalen» in der Mitte, sagt Politologe Hermann. Sollte es sich ändern, können ihnen die Wähler davonlaufen.