Die Guten Dienste der Schweiz haben ein schlechtes Jahr. Nach dem Massaker am 7. Oktober und Israels Ankündigung der umstrittenen Bodenoffensive in Gaza flog US-Aussenminister Antony Blinken als Allererstes nach Katar, um einen Flächenbrand im Nahen Osten abzuwenden und Hilfe für die Freilassung der Geiseln zu suchen. Kurz darauf schaute sein iranischer Amtskollege Hossein Amirabdollahian in Doha vorbei, um sich mit dem dort ansässigen Hamas-Führer Ismail Haniyeh zu treffen. 

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Katar funktioniert seit Ausbruch des Krieges praktisch als Dreh- und Angelkreuz für die Weltgemeinschaft. Ohne den Golfstaat wäre wohl bis heute keine einzige israelische Geisel wieder frei, einem Bericht der «Financial Times» zufolge arbeitet das Emirat an einem Deal zur Freilassung von fünfzig weiteren Personen. Während Katar diplomatisch an der Frontlinie steht, schaut ausgerechnet die Schweiz aus der Ferne zu. Beim Nahost-Friedensgipfel vor einer Woche in Ägypten war Bern nicht einmal eingeladen. 

Es ist auffällig, wie die Schweiz bei wichtigen diplomatischen Vorgängen zunehmend im Abseits steht. Die neuen Topvermittler sind längst andere. Doch hierzulande bleibt eine Debatte über den Bedeutungsverlust der Schweiz und ihre Folgen aus. 

Dabei ist dieser unübersehbar. In den vergangenen Monaten hat Bern gleich zwei von sieben Schutzmachtmandaten verloren: Noch bis vor kurzem vertrat die Schweiz die Interessen Saudi-Arabiens im Iran und umgekehrt. Denn die Schweiz spielt schlichtweg keine Rolle mehr im Verhältnis zwischen den beiden Staaten. Riad und Teheran haben sich wieder angenähert und im Frühjahr angekündigt, die Beziehungen wieder direkt aufzunehmen. Ein diplomatischer Erfolg – allerdings nicht für die Schweiz, sondern für China, wo auch die entsprechenden Dokumente unterzeichnet wurden. Involviert waren ausserdem Oman und der Irak.

Katar schadet nicht mal die Nähe zur Hamas-Führung.

Die bisher einzigen Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland hat die Türkei organisiert. Die USA und Venezuela trafen sich nach jahrelanger Eiszeit im Juni zu geheimen Gesprächen in Katar. Der Gefangenenaustausch zwischen den USA und dem Iran ging ebenfalls in Katar über die Bühne – die Schweiz stand, obwohl sie offizielle Schutzmacht ist, lediglich daneben. Ebenso machten Washington und Doha offenbar unter sich aus, dem Iran vorläufig keinen Zugriff auf die 6 Milliarden zu gewähren, die im Rahmen des Deals zurück auf iranische Konten überwiesen wurden. Das Backchanneling zwischen den USA und den Taliban? Verantwortet ebenfalls Katar.

Dohas Aufstieg in den Diplomatenolymp kommt nicht überraschend. Katar hat sich eine einzigartige strategische Neutralität aufgebaut. Das Emirat unterhält nicht nur zu allen relevanten Parteien ein gutes Verhältnis, sondern hat – ähnlich wie die Schweiz – auch die finanziellen Ressourcen für seine Vermittlertätigkeit. Dabei schadet es dem Golfstaat nicht mal, dass er von der Hamas-Führung bis zu den Taliban zahlreichen Islamisten Unterschlupf gewährt. Im Gegenteil: Die USA, die Katar einen «strategischen Partner» nennen, sind heilfroh, dass sich die Terrorgruppen nicht an schlechter überwachbaren Orten wie der Türkei oder dem Iran niedergelassen haben.

Es ist nicht verwunderlich, dass sich die Rolle des Vermittlers in einer multipolaren Welt diversifiziert und neben Doha auch Peking oder Ankara aufs internationale Parkett drängen. Komplexe Konflikte benötigen komplexe Lösungen – und ungewöhnliche Mediatoren. Grosse Hoffnungen in Sachen Nahost liegen etwa auf Saudi-Arabien, dem Antagonist des Hamas-Finanzierers Iran. Das Königreich hat zuletzt seine Beziehungen mit Israel verbessert und könnte nach dem Krieg helfen, das Machtvakuum im Gazastreifen zu füllen. 

Die Schweiz kann verständlicherweise nicht alle Bedürfnisse abbilden. Dass sie aber innerhalb kürzester Zeit praktisch gar keine Rolle mehr spielt, ist auch ihre eigene Schuld.

Wer soll die Haltung der Schweiz noch verstehen?

Bern fährt in allen aktuellen Konflikten einen Zickzackkurs, der keine Seite zufriedenstellt. Im Ukraine-Krieg etwa wollte die Schweiz eine «kooperative Neutralität» verfolgen, doch das gelingt kaum. Von Russland wurde sie wegen der Übernahme der Sanktionen auf die Liste der feindlichen Staaten gesetzt. Und die westlichen Partner hat sie vor den Kopf gestossen, weil sie Waffenlieferungen blockiert und sich weigert, der Oligarchen-Taskforce Repo beizutreten. Dazu kommt der Streit ums Rahmenabkommen, der sich auf die Beziehungen zur EU auswirkt. Unvergessen auch, wie Olaf Scholz und Ursula von der Leyen eine eigene Ukraine-Wiederaufbaukonferenz bekannt gaben – sechs Tage vor dem Ukraine-Gipfel unter der Ägide von Ignazio Cassis in Lugano. Das kleine Land, das bei internationalen Konflikten sonst eine grosse Rolle spielte, verkommt zum Nebenakteur.

Am Freitag folgte dann die vorläufige Krönung von Berns unstrategischer Nichtneutralität: Ausgerechnet die Schweiz, die sich bei heiklen Abstimmungen leicht auf ihre neutrale Position zurückziehen könnte, stellte sich auf die Seite der Israel-Kritiker. Bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen stimmte sie für eine von den arabischen Staaten verfasste Resolution, die eine humanitäre Waffenruhe zwischen den israelischen Streitkräften und der Hamas fordert – allerdings ohne die Terrorangriffe der Hamas zu verurteilen und die sofortige Freilassung der Geiseln zu fordern. Deutschland hat sich aus diesem Grund enthalten. Israel nannte die Annahme der Resolution eine «Schande». Wer soll die Haltung der Schweiz noch verstehen? Bei diesem Verhalten ist es nicht verwunderlich, dass Doha und Co. Bern den Rang ablaufen.