In Brasilien demonstriert das Volk gegen die Milliardeninvestitionen der Regierung in die Fussball-WM. Müsste man nicht auch die Fifa mitverantwortlich machen?
Jean-François Tanda: Letztlich entscheidet die Regierung darüber, ob sie sich um eine WM bewerben will oder nicht. Die Vorgaben der Fifa sind sonnenklar und knallhart. Alle Bewerber um eine WM müssen diese akzeptieren, um überhaupt eine Chance zu haben. Der Weltfussballverband übernimmt da keine Verantwortung. So kann sich die Fifa auch jetzt zurücklehnen und sagen, es gehe bei den Demonstrationen nicht um sie, sondern um die Regierung und deren Milliardenausgaben, obwohl natürlich die Fifa am Anfang des Übels steht.
Was genau schreibt denn die Fifa den Gastgeberländern vor.
Es gibt Vorgaben über Anzahl und Grösse der Stadien. Es gibt ein Stehplatzverbot und einen Sitzplatzzwang in den Stadien. Es gibt Vorgaben über Bannmeilen rund um die WM-Stadien, was in Brasilien - wie schon zuvor in Südafrika – zu Zwangsumsiedlungen führte. Kleinhändler werden weggedrängt. In Brasilien zwang die Fifa das Parlament zu einer Gesetzesänderung, damit der Sponsor Anheuser Busch sein Budweiser Bier innerhalb der WM–Stadien verkaufen darf. Eigentlich gilt in Brasilien ein breit akzeptiertes Alkoholverbot in Stadien. Und so weiter und so fort.
Fifa-Chef Sepp Blatter weilte dieser Tage in Brasilien. Er twitterte die ganze Zeit über die Spiele des Confederations-Cup, die Atmosphäre im Maracana, den brasilianischen Fussball – aber nie zu den Unruhen. Negiert er das?
Er versucht es zu negieren und behauptet, man demonstriere nur jetzt, weil die Welt auf den Confederations Cup schaut. Doch er täuscht sich. Die Fifa steht auch im Zentrum der Proteste. Es war auch Blatter, der bei seiner Eröffnungsrede des Turniers von den Stadionbesuchern ausgepfiffen wurde, nicht nur Präsidentin Dilma Rousseff, gegen die sich die Proteste ja laut Einschätzung brasilianischer Medien auch nicht wirklich richten. Blatter meinte und sagte ja auch, sobald der Ball rollen werde, würden die Proteste aufhören. Eine krasse Fehleinschätzung der Realität. Inzwischen ist Blatter ja aus Brasilien abgereist, um in die Türkei zu fliegen, wo heute die U20-WM beginnt.
Was könnte den die Fifa tun, damit die Investitionen in Schwellenländern sich nachhaltig positiv auswirken?
Das einzige wäre, mehr Rücksicht auf das ausgewählte Gastland zu nehmen, und je nach Situation die Schrauben zu lockern, das heisst, die Erwartungen nach unten anzupassen. Aber am Ende ist es eben schon so, dass die Gastgeberländer entscheiden müssen, ob sie das Diktat vom Zürichberg akzeptieren wollen oder nicht. Sagen sie Nein, gibt es keine WM. Sagen sie Ja, gibt es kein Zurück.
Macht es aber überhaupt Sinn, Grossereignisse in solchen Ländern auszutragen, die dringend in die Bildung oder die Infrastruktur entwickeln müssten?
Es kann schon Sinn machen, ja. Die Strassen sind auch nach der WM gebaut, die Schnellzugsverbindung zwischen São Paulo und Rio de Janeiro gibt es auch nachher. Die Frage ist meiner Meinung nach eher, ob sich nicht die Fifa grundsätzlich und substanziell an Infrastrukturkosten beteiligen sollte, statt nur den fetten Gewinn einzusacken, die Kosten aber dem Austragungsland zu überlassen. Dann könnte die Fifa zu Recht sagen, die WM bringe was und die Fifa sei eine Entwicklungshilfeorganisation, und nicht nur geldgierig.