In der Corona-Krise fordert Emmanuel Macron mehr Mut und Ehrgeiz von seinen EU-Partnern. Für Europa sei die Pandemie mit Zehntausenden Toten ein «Augenblick der Wahrheit» und ein «Augenblick der neuen Grundlage», lautet das Credo des französischen Staatspräsidenten. «Ich werde versuchen, uns in Europa Gehör zu verschaffen, um mehr Einheit und Solidarität zu haben.»
Der Appell Macrons hat für den Süden Europas eine ganz besondere Bedeutung. Frankreich gehört wie Italien und Spanien zu den Ländern, die in der Krise für eine gemeinsame europäische Schuldenaufnahme über die sogenannten Corona-Bonds eintreten. Für Deutschland und die Niederlande ist das Thema von Gemeinschaftsanleihen für den wirtschaftlichen Wiederaufbau des Kontinents aber tabu.
Frankreich ist von der Pandemie stark betroffen, Macron verlängerte am Montagabend die strengen Ausgangsbeschränkungen bis zum 11. Mai. In seiner TV-Ansprache vermied er markige Worte («Wir sind im Krieg»). Der Staatschef zeigte sich eher bescheiden und ging auch nicht explizit auf den heiklen Schuldenstreit ein. Doch die Botschaft für Berlin ist klar: Der Herr des Élyséepalastes wird weiter sein Konzept der «fruchtbaren Konfrontation» verfolgen. Neben Kompromissen und Gemeinsamkeiten gibt es Meinungsunterschiede, die auch offen benannt werden.
500-Milliarden-Hilfspaket
Beim bereits geschnürten Rettungspaket der Europäer von mehr als 500 Milliarden Euro zogen Macron und die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an einem Strang und vermittelten hinter den Kulissen. Die Verhandlungen der Finanzminister waren lang und zäh - und es kam auf die Achse Berlin-Paris an. Der französische Ressortchef Bruno Le Maire meinte, die beiden EU-Kernländer hätten eine bedeutende Rolle gespielt und sich von Anfang an geeint gezeigt.
Der stotternde deutsch-französische Motor springt also angesichts der gewaltigen Krise wieder an. In der Pariser Machtzentrale werden für die Runde der EU-Staats- und Regierungschefs gemeinsame Vorschläge mit Berlin in Aussicht gestellt. Dabei geht es dem Vernehmen nach um eine stärkere industrielle Eigenständigkeit Europas, beispielsweise bei der Herstellung von Medikamenten. Für die stolzen Franzosen war es eine niederschmetternde Erfahrung, auf eine Luftbrücke mit Schutzmasken aus China angewiesen zu sein.
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Einen gemeinsamen Anlauf soll es auch geben beim milliardenschweren, über mehrere Jahre hinweg laufenden Gemeinschaftsbudget, auf das sich die Europäer bisher nicht einigen konnten. «Die deutsch-französische Arbeit hält nicht an», heisst es aus dem Élyséepalast.
Macron innenpolitisch unter Druck
Doch mit Macron, der innenpolitisch unter Druck steht und Erfolge vorweisen muss, gibt es keine Harmonie. Der impulsive Franzose, der vor knapp drei Jahren quasi aus dem Nichts an die Macht kam, liebt die Provokation. Vor zwei Jahren geisselte der einstige Investmentbanker bei der Entgegennahme des Aachener Karlspreises mit Blick auf Deutschland einen «Fetischismus» für Budget- und Handelsüberschüsse.
Macron sorgte für richtige Verärgerung bei Merkel & Co., als er Ende vergangenen Jahres die EU-Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien und Albanien blockierte - Merkel wollte den beiden Ländern zumindest eine entsprechende Perspektive eröffnen, damit sie nicht so leicht dem Werben der mächtigen Chinesen oder der Russen nachgeben. Als dann der mächtigste Franzose die Militärallianz Nato als «hirntot» abqualifizierte, distanzierte sich Merkel sogar öffentlich von dieser Einschätzung.
Macron spielt nun wieder mit dem Feuer. Der einstige Senkrechtstarter habe sich mit den Befürwortern von Corona-Bonds zu einer Koalition verbündet, die gegen Merkel gerichtet sei, kommentierte die Zeitschrift «Le Point». Das sei riskant - schon der konservative Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy, die von 2007 bis 2012 regierte, und der glücklose Sozialist François Hollande, der von 2012 bis 2017 die Fäden in der Hand hielt, hätten sich bei ähnlichen Unterfangen verhoben.
Die Niederlande und Deutschland dürften bei den Corona-Bonds auf ihrer Ablehnung beharren - Berlin sicher auch deshalb, weil Merkel und auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) klar sein dürfte, dass die dafür nötige Mehrheit im Bundestag sehr sicher an einem überwältigenden Nein aus der Unionsfraktion scheitern würde.
Machtpoker geht weiter
Paris sieht es im Machtpoker schon als Erfolg an, dass der Streit um eine gemeinsame Schuldenpolitik nicht im Keim erstickt wurde. «Die Debatte geht weiter», heisst es aus dem Élyséepalast. Der mächtige Minister Le Maire warnt bereits vor einem Auseinanderbrechen der Eurozone, falls der wirtschaftliche Wiederaufbau nicht über gemeinsame Schulden finanziert werde: «Eine Verschlimmerung der wirtschaftlichen Brüche unter den 19 Staaten wird die Eurozone nicht überleben», sagte er am Dienstag.
Die nächste Etappe für den Streit steht schon fest: Der Video-Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs am Donnerstag kommender Woche (23. April). Dann dürfte Macron auch den Vorstoss präsentieren, Nachbarn in Afrika im Kampf gegen die gefährliche Pandemie zu helfen und Schulden dieser Länder massiv zu streichen.
(sda/mlo)