Die Schweizer Wirtschaft möchte einen Freihandelsvertrag mit den USA abschliessen. Wieso haben sich die Hoffnungen bis jetzt nicht erfüllt?
Es ist nur eine Frage der Prioritäten. US-Handelsminister Robert Lighthizer hat sich auf andere Themen konzentriert, vor allem die Beziehung zu China. Da fliesst so viel Geld hin und her, und es spielen so viele Faktoren mit rein: Die Rivalität zweier Supermächte, die nationale Sicherheit, die Frage, wer die Technologien der Zukunft kontrolliert: Huawei versus die 5G-Technologien des Westens.
Und natürlich auch die Menschenrechte. China dominierte unsere Aussen- und Handelspolitik fast vollständig. Dann waren auch noch Japan und Grossbritannien im Fokus. Die Schweiz ist wahrscheinlich nicht unter den ersten fünf auf der Prioritätenliste – vielleicht ist die Nummer acht.
Ist die Schweiz zu unbedeutend?
Ja, aber ich glaube, dass das Handelsministerium dieses Jahr viel mehr zustande bringt. Ich werde mich weiterhin mit aller Kraft dafür einsetzen, dass die Schweiz und die USA einen Deal schliessen– unter Robert Lightizer als Handelsminster oder jemand anderes, falls Donald Trump verlieren sollte. Was ich persönlich hoffe.
Donald «Don» S. Beyer war von 2009 bis 2013 US-Botschafter in Bern unter Präsident Barack Obama. Heute ist der 70-Jährige Kongressabgeordneter – er vertritt einen Bezirk in Virginia im Speckgürtel von Washington DC und gehört den Demokraten an. Er kandidiert diesen Herbst für eine vierte Amtszeit. Vor seiner Zeit als Botschafter war Beyer Vizegouverneur des Bundestaats Virginia und führte das familieneigene Autounternehmen.
Sie sprechen es an: Donald Trump kämpft um die Wiederwahl. Ist Joe Biden als Sieger schon gesetzt? Laut Umfragen liegt Trumps demokratischer Herausforderer weit in Führung.
Ich glaube an einen Wahlsieg Bidens. Wenn wir heute abstimmen würden, wäre Biden klar vorne. Aber es gibt so viele Unabwägbarkeiten. Beispielsweise die Briefwahl: Wegen Covid19 stimmen viele Amerikaner jetzt brieflich ab, was in der Schweiz ja normal ist. Hier machte es bislang nur eine kleine Minderheit. Trump, der alles tun würde, um zu gewinnen, hat die US-Postverteilung künstlich verlangsamt. Seine Regierung will die Post schwächen und lahmlegen. Ich bin trotzdem optimistisch, dass alle Stimmen ausgezählt werden.
Die Wahlen machen Sie nervös?
Ja, die meisten von uns sind nervös. Für Trump zählt leider nur Macht, er pfeift auf den Rechtsstaat. Wir im US-Repräsentantenhaus haben ihn des Amtes enthoben – «impeached» – und er blieb im Weissen Haus. Sehr viele Amerikaner – alle, die an die Verfassung glauben – fürchten, dass Biden am meisten Stimmen sammeln wird und Trump dann behauptet, Biden habe betrogen, und die Gerichte einschalten wird.
Sie sind ein grosser Kritiker Trumps. Gegenüber der Schweiz hat sich seine Regierung aber sehr wohlwollend gezeigt – Bundespräsident Ueli Maurer empfing er im Weissen Haus, und er kam an das World Economic Forum in Davos. Würde uns Joe Biden auch so viel Aufmerksamkeit schenken?
Ich war begeistert, als Bundespräsident Maurer eine Einladung ins Weisse Haus erzielt. Als Trump das WEF besuchte, ging es ihm aber nicht um die Schweiz. Er suchte nur Kontakt zu den anderen Weltmächten, er mag das. Ich glaube, dass die Beziehungen unter Joe Biden als Präsident ausgezeichnet wären.
Ich bedauerte, dass ich während meiner Zeit als Botschafter nicht mehr Aufmerksamkeit vom damaligen Präsidenten Barack Obama erhielt (mehr dazu hier). Damals lief aber noch der Steuerstreit, mit den Verfahren des US-Justizdepartements gegen die UBS und die anderen Schweizer Banken. Das schränkte den Handlungsspielraum der US-Regierung ein. Aber das gehört der Vergangenheit an. Joe Biden wird sehr offen sein gegenüber der Schweiz.
Sie verfolgen die Beziehungen zwischen der Schweiz und der USA eng. Wie gut sind sie im Moment?
Die Spannungen wegen des Bankgeheimnisses sind verflogen, das freut mich. Und der aktuelle Botschafter Edward McMullen macht einen guten Job, er wurde von Trump ernannt. Ich mag Ed (mehr zu Edward McMullen).
Allerdings sind viele der Werte, die die USA und die Schweiz gemeinsam haben gefährdet: Der Respekt für Menschenrechte und faire Einwanderung, das Engagement für die Zusammenarbeit zwischen Ländern weltweit: Alle diese Werte sind unter Präsident Donald Trump verloren gegangen. Die Schweiz weibelt sehr stark für den Umweltschutz – Trump hingegen baut die Regulierung zum Schutze der Umwelt ab, wo er kann. Die Schweiz ist den Werten der Aufklärung verpflichtet. Trumps Regierung verkörpert den direkten Widerspruch zu diesen Grundsätzen.
Falls Trump doch gewinnen sollte: Was würde eine zweite Amtszeit für die USA bedeuten?
Ich befürchte einen weiteren Schritt hin zu einer autoritären Gesellschaft, eine noch grössere Isolation der USA, und einen zusätzlichen Abbaus des Rechtsstaats. Da liegt es an uns Amerikanern, die das Land lieben, dagegen anzukämpfen. Wir müssen die Grundsätze hochhalten, die Amerika aussergewöhnlich machten.
Ihre Zeit in der Schweiz liegt schon eine Weile zurück. Pflegen Sie weiter eine Beziehung zum Land?
Ich habe viele Kontakte, das letzte Mal war ich im vergangenen Oktober in der Schweiz. Ich verbrachte einige Tage in Genf am Sitz der Welthandelsorganisation WTO. Und im Jahr davor war ich am Weltwirtschaftsforum. Eigentlich wollten wir diesen August das Filmfestival in Locarno besuchen, wir kauften sogar bereits die Flugtickets. Doch dann wurde das Festival abgesagt.
Hat das Image der USA im Ausland unter Trump gelitten?
Ich masse mir nicht an zu sagen, wie die Schweizerinnen und Schweizer heute über die USA denken. Vermutlich sind die politische Mitte und die Linke in Amerika besorgter über die Entwicklung in den USA als die Schweizer.
« Wir werden Dekaden benötigen, um unsere Beziehung zu China zu verfestigen. Ich möchte nicht, dass die USA zum Gegenspieler Chinas werden.»
Um welche Probleme müsste sich Joe Biden als Präsident als erstes kümmern?
Für Biden geht es um einen Kampf um die Seele Amerikas. Stehen die USA weiterhin ein für Wahrheit, Anstand, für die kleinen Leute? Das ist ein grosser Kontrast zu Trump. Fast alle von Trumps Vertrauten sind mittlerweile im Gefängnis, mehrere Frauen beschuldigen ihn sexueller Übergriffe, er zahlt Geld an Porno-Stars, um sie zum Schweigen zu bringen. Es geht diesen November um nichts weniger als die Frage, was Amerika ausmacht. Diese Frage ist viel wichtiger als die Steuern, oder wie wir Vermögen innerhalb der Gesellschaft neu verteilen.
Sie sind 70 Jahre alt. Können Sie sich an eine Zeit erinnern, als die US-Gesellschaft derart gepalten war?
Das Bild ist gemischt. Wir befinden uns in einer Zeit grosser Veränderungen, aber in vieler Hinsicht auch in einer Zeit grosser Fortschritte. So sind wir beispielsweise bei der Aufarbeitung der Geschichte der Sklaverei weitergekommen. Die «Black Lives Matter»-Bewegung ist heilsam für Amerika. Nie gab es mehr gesellschaftliches Engagement – und das ist auf Trump zurückzuführen. Es ist eine Reaktion auf Trump.
Covid19 löste eine Wirtschaftskrise aus, die Ärmsten in der Gesellschaft leiden am meisten – und doch gibt es viel Solidarität, und der Staat hat in dieser Krise vieles richtig gemacht. Wir erleben die Widerstandsfähigkeit im politischen System: Gouverneure, Bürgermeister, sogar Kongressabgeordnete, viele Akteure haben sich ausgezeichnet und auf die Nöte der Bevölkerung reagiert.
Kommen wir zum Schluss auf die Schweiz zurück: Die USA wird die Schweiz vermutlich als «Währungsmanipulator» einstufen. Was sagen Sie dazu?
Ich halte das nicht für hilfreich. Wer im Glashaus sitzt, sollte keine Steine werfen. Wenn die US-Notenbank Fed das System mit immer neuen Geldspritzen flutet, können wir nicht ernsthaft andere Länder der Währungsmanipulation bezichtigen. Die Schweiz hat mit dem Franken eine harte Währung. Aber unter dieser harten Währung hat die Schweiz oft gelitten, es hemmt die Exporte – und die Schweiz ist ein Exportland. Die Schweiz kann im Welthandel nur mit einer wettbewerbsfähigen Währung mithalten.
Die USA und China werden immer stärker zu Rivalen. Die Schweiz pflegt als neutrales Land zu beiden Staaten eine gute Beziehung. Kann sie sich es leisten, keine Position zu beziehen?
Mir gefällt, dass die Schweiz Freunde beider Seiten sein kann. Und dann oft als Vermittlerin hilft, beispielsweise für die USA in der Beziehung zu Iran und zu Venezuela. Wir werden Dekaden benötigen, um unsere Beziehung zu China zu verfestigen. Ich möchte nicht, dass die USA zum Gegenspieler Chinas werden. Die beiden Ländern müssen gleichzeitig Partner und Konkurrenten sein. Das führt zu einer schwer fassbaren, ambivalenten Beziehung. Einige Dinge müssen wir im Moment akzeptieren, beispielsweise den autoritären Charakter der chinesischen Regierung.
Sie waren Autohändler und haben Volvos verkauft. Heute ist Volvo eine schwedische Marke mit chinesischer Identität – sie gehört dem chinesischen Hersteller Geely.
Genauso ist es. Und es ist ein tolles Auto. Trump sagt «America first». Aber die Probleme der USA beginnen und enden nicht an der Grenze. Ich glaube an die internationale Zusammenarbeit, ungeachtet aller politischer und ideologischer Differenzen.