Die 13. AHV-Monatsrente ist vom Volk angenommen worden. Jetzt muss sie finanziert werden. Der Bundesrat will sie durch eine moderate Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,7 Prozent Normalsatz finanzieren. Und damit ein Defizit in der AHV-Rechnung frühzeitig verhindern.

Von allen Seiten kam Kritik am Bundesratsvorschlag. Da werden alte, nie ausrottbare Mythen erzählt. Der eine behauptet etwas, die nächste übernimmts und publizierts – und zuletzt setzt sich das Fehlurteil im kollektiven Gedächtnis fest: Die Mehrwertsteuer sei unsozial, weil sie alle, Reich und Arm, mit dem gleichen Prozentsatz belaste. Lohnprozentbeiträge seien nach oben unbegrenzt sozialer. Ein alter Mythos. Allerdings werden dabei alle Kapitalertragsbezüger, die nicht angestellt sind, und die bald zwei Millionen Rentner und Rentnerinnen gänzlich von der Lohnprozentfinanzierung befreit. Das ist zunehmend anstössig.

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Der Gastautor

Rudolf Strahm ist ehemaliger Preisüberwacher und Ex-SP-Nationalrat.

Die meisten kennen den Meccano der Mehrwertsteuer nicht. Wer weiss schon, dass für die 20 Prozent einkommensschwächsten Haushalte des untersten Einkommensquintils rund 66 Prozent der Haushaltsausgaben, gemessen am Bruttoeinkommen, von der Mehrwertsteuer komplett befreit sind? Denn Mieten, Krankenkassenprämien und alle Versicherungen, die bei tiefen Einkommen einen viel grösseren Brocken ausmachen, sind mehrwertsteuerbefreit. Weitere 18 Prozent der Ausgaben für den Grundbedarf wie Nahrungsmittel, Medikamente und Kulturkonsum sind mit einem dreimal tieferen Mehrwertsteuersatz von 2.6 Prozent belastet. Demgegenüber sind in den einkommensstarken Haushalten des obersten Quintils nur noch 24 Prozent gänzlich befreit und weitere 7 Prozent mit reduziertem Satz.

In Franken-Beträgen: Mit dem Bundesratsvorschlag würde beim untersten Einkommensquintil die Mehrwertsteuerbelastung eines Haushalts von heute 77 auf neu 84 Franken pro Monat erhöht – eine Mehrbelastung von 7 Franken pro Monat. Beim obersten Quintil nähme jedoch die Mehrwertsteuer von 319 auf 347 Franken zu – eine Mehrbelastung von 28 Franken pro Monat.

Wer kann schon behaupten, die Mehrwertsteuer sei so unsozial? Wer einen Wocheneinkauf von 100 Franken bei Migros oder Coop tätigt, würde mit dem Bundesratsvorschlag 45 Rappen mehr bezahlen!

Die SP und die Gewerkschaften lehnen die vorgeschlagene Mehrwertsteueranhebung ab. Sie möchten mehr Lohnprozentbeiträge nur von den Beschäftigten und ihren Arbeitgebern.

Die Bürgerlichen von FDP und SVP wiederum lehnen auch diese Mehrwertsteuerfinanzierung ab. Sie möchten zunächst mit einer «Gesamtschau» Zeit gewinnen. Sie verfolgen als versteckte Agenda die Absicht, später unter dem Defizitdruck «ihre» Rentenaltererhöhung, die das Volk im Sommer mit 75 Prozent Nein-Stimmen versenkt hat, doch noch durchzudrücken. Auch so ein Mythos.

Diese Mehrwertsteuervorlage wird es schwer haben, zumal jeder Mehrwertsteuersatzwechsel in der Verfassung ein Volks- und Ständemehr erfordert. Die Vorlage für die Steuerreform und AHV-Finanzierung (Staf) wurde 2019 dank einer geschickten Kombination von AHV-Finanzierung für Links und einer Unternehmenssteuersenkung für Rechts deutlich angenommen. Es ist jetzt am Ständerat oder an den Bundesratsparteien, eine ausbalancierte Vorlage auszuhandeln. Beide Lager müssten halt ihre Mythen und Dogmen korrigieren.