Der Berg gebiert eine Maus. Und Bundesbern das Fidleg, möchte man anfügen. Die Rede ist vom Finanzdienstleistungsgesetz, das im Parlament in der Schlussberatung ist. Die Monstervorlage (48 Seiten Bundesgesetz, 192 Seiten Botschaft) stellt die Beziehung zwischen Kunden und Finanzanbietern auf ein neues rechtliches Fundament. Statt heterogener Regulierungssilos soll das neue Querschnittsgesetz den Anleger von der Wiege bis zur Bahre begleiten.
Eigentlich ist das Fidleg ein Kind der Finanzkrise. Seit der Lehman-Pleite spüren Schweizer Investoren den lückenhaften Anlegerschutz schmerzlich. «Das geltende Recht gewährleistet keinen angemessenen Kundenschutz», schreibt die Finanzmarktaufsicht 2010 und empfiehlt zwei Jahre später, ein «Finanzdienstleistungsgesetz» zu schaffen, das die Branche in die Pflicht nehmen soll, «sektorübergreifend und lückenlos». Es geht um Kenntnisse und Verhaltensweisen der Banker und Vermögensverwalter. Es geht um deren Finanzprodukte, ihre Angemessenheit für Kunden und die Information darüber. Und letztlich es geht um die Aufsichtsfrage: Wer kontrolliert die Akteure und wie eng?
Zwar sorgte der Regulierungswust zunächst für Stirnrunzeln in der Branche. Aber immerhin sollte das Fidleg den Banken und Verwaltern potenziell einen besseren Zugang zum EU-Markt verschaffen. Das Schlüsselwort lautet Äquivalenz. «Die Fidleg-Regeln orientieren sich in materieller Hinsicht an der EU-Regulierung», schrieb das Finanzdepartement vor drei Jahren im Vernehmlassungsbericht.
Dieses Bemühen um Gleichwertigkeit ist kein bundesrätlicher Kotau vor Brüssel. Die Äquivalenz könnte der Finanzbranche vielmehr handfeste ökonomische Vorteile bringen. Vorausgesetzt, die EU-Kommission als finale Instanz erteilt dem Schweizer Fidleg dereinst ihren Segen. Damit erhielten die CH-Finanzdienstleister einen sogenannten «EU Passport» und könnten in der gesamten Union ohne Zweigniederlassung mit ihrer Profi-Klientel geschäften, also mit institutionellen Anlegern wie Versicherungen und Pensionskassen. «Das würde einen Riesenschub geben», meint Markus Fuchs vom Schweizer Fonds- und Asset-Management-Verband Sfama. Gerade im stark wachsenden Vorsorgegeschäft sieht Fuchs «grosse Chancen bei unseren europäischen Nachbarn».
Neue Kategorien, grosse Lücken
Doch die Chancen, das Plazet aus Brüssel zu erhalten, sind gesunken. «Der Vernehmlassungsentwurf war Mifid-II-konform, die parlamentarische Schlussfassung ist es nicht mehr», sagt Finanzmarktrechtler Rolf Sethe von der Universität Zürich. Das Fidleg kennt beispielsweise eine «transaktionsbezogene Anlageberatung». Fällt ein Kunde in diese Fidleg-Kategorie, muss der Anbieter keine Eignungsprüfung für Finanzgeschäfte machen. «Mifid-II dagegen unterscheidet nicht zwischen Anlage- und Vermögensverwaltung», sagt Bankenrechtlerin Susan Emmenegger von der Uni Bern. Die Eignungsprüfung sei in jedem Fall obligatorisch.
Eine andere Abweichung: Mifid-II kennt in der Vermögensverwaltung ein generelles Verbot von Retrozessionen. Also Kickbacks für Finanzprodukte, die ein Vermögensverwalter seinen Kunden ins Portfolio legt. Das Fidleg sieht von einem harten Retro-Verbot ab und verlangt einzig, dass der Vermögensverwalter die Annahme von Vertriebsentschädigungen dem Kunden transparent macht und – falls deren Höhe vorgängig nicht feststellbar ist – im Nachhinein offenlegt.
Rolf Sethe kritisiert dies: «Die Transparenz bleibt oft folgenlos. Die Aufklärung kommt für viele Vermögensverwaltungskunden zu spät. Der Produkteentscheid wurde ja bereits vom Vermögensverwalter gefällt und ausgeführt; der Kunde kann im Nachhinein nicht mehr herausfinden, ob es vergleichbare Produkte gab, die weniger Retrozessionen enthalten hätten.»
Nebst Informationsasymmetrie sieht Susan Emmenegger im fehlenden Retro-Verbot einen «gewichtigen Unterschied» zu Mifid-II: «Die EU führte einen langen und harten Kampf, um die wettbewerbsverzerrenden Vertriebsentschädigungen abzuschaffen.» Gleichzeitig gibt die Bankenprofessorin zu bedenken, dass sich die Schweizer Vorlage von den EU-Regeln nicht bloss unterscheidet. «Ganze Mifid-II-Teilgebiete wie Product Governance oder Verlustberichte finden sich im Fidleg gar nicht.» Ein Beispiel: In der EU muss ein Vermögenskunde innerhalb von 24 Stunden informiert werden, wenn sein Portfolio 10 Prozent an Wert verliert. Das Fidleg kennt dies nicht.
Das Finanzdienstleistungsgesetz dürfte frühestens 2019 in Kraft treten. Die 48-seitige Monstervorlage soll den Kundenschutz verbessern und alle Anbieter von Vermögensgeschäften – von Banken bis hin zu Anlageberatern – risikoadäquat beaufsichtigen.
Durchsetzung Ein Pfeiler der Ursprungsvorlage war den Anleger im Rechtsstreit zu stärken, und zwar über einen Prozesskostenfonds, Beweislastumkehr und ein Schiedsgericht. Gewisse Vorschläge fliessen nun in die Änderung der Zivilprozessordnung mit ein.
Zuversicht und Irrelevanz
Trotz allen Leerstellen und Abweichungen zum EU-Recht gibt man sich bei der Bankiervereinigung zuversichtlich. «Wir sind überzeugt, dass das Fidleg auf technischer Ebene äquivalent ist. Aber es handelt sich letztlich um einen politischen Entscheid in Brüssel», sagt Andreas Barfuss, Leiter Finanzmarktrecht. So weit die offizielle Haltung des Dachverbands. Allerdings haben sich die Gross- und Inlandbanken selber für die Fidleg-Äquivalenz im Parlament kaum ins Zeug gelegt. UBS und CS geschäften nämlich längst mifidkonform, während binnenorientierte Institute möglichst wenige EU-Vorschriften adaptieren möchten.
Gleichzeitig sind die grösseren Vermögensbanken, zumindest im Privatkundengeschäft, mit Filialen in Europa präsent. «Für sie ist die Äquivalenz nicht mehr relevant», sagt eine Branchenkennerin. Der Verlust an Wertschöpfung habe bereits stattgefunden. Mit anderen Worten: Die Banken haben sich mit dem Status quo längst arrangiert.
Die Monstervorlage hat einzig die 2500 unabhängigen Vermögensverwalter umgetrieben. Sie werden mit dem Fidleg neu der Aufsicht unterstellt, allerdings nicht jener der Finma direkt. Ihr Lobbying mit Schützenhilfe des Gewerbeverbandes hat in Bern gefruchtet. Über die Vermögensverwalter wacht künftig eine brancheneigene Selbstregulierungsorganisation. Stossend findet dies der Anlegerschützer Stephan Pöhner: «Gerade unter den unabhängigen Vermögensverwaltern finden sich viele schwarze Schafe.» Da sei Selbstregulierung völlig fehl am Platz.