Herr Lüönd, Sie sind ein Kenner der Familie Blocher. Überrascht Sie die Nationalratskandidatur von Frau Magdalena Martullo-Blocher?
Karl Lüönd*: Eigentlich nicht. Ich habe gedacht, dass sie nach einer bestimmten Bewährungszeit als Unternehmerin den Schritt in die Politik machen wird. Das ist eine logische Konsequenz. Frau Martullo war staatsbürgerlich schon immer sehr engagiert, ich habe sie auch immer als meinungsfreudig wahrgenommen.

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Vater Blocher ist aber noch in der Politik, Frau Martullo erst seit knapp einer Dekade als Unternehmerin tätig. Haben Sie damit gerechnet, dass die Kandidatur so früh kommen wird?
Frau Martullo mag zwar tatsächlich noch jung sein, sie ist aber sicherlich erfahren genug. Sie hat schon sehr früh einen Top-Management-Posten besetzt. Mittlerweile sitzt sie fest im Sattel, daher ist es klar, dass sie sich auch eher die Freiheit nehmen kann, politisch aktiv zu sein.

Gab es innerhalb der Ems-Chemie Widerstände gegen eine Frau Martullo als Politikerin?
Das kann ich nicht abschliessend beurteilen. In den Jahren, als ich am Buch über die Ems-Chemie arbeitete, stand ein politisches Amt gar nicht zur Diskussion. Das Familienunternehmen war prioritär – und sie hat sich als gute Lenkerin bewiesen.

Ist der Tochter denn gelungen, sich vom Patron zu emanzipieren?
Ja, absolut. Frau Martullo hat das Werk des Vaters zwar fortgeführt, aber mit eigenen Akzenten versehen. Der Fokus auf polymere Werkstoffe und auf die Autobranche waren Entscheide von strategischer Tragweite – und ein profitabler Weg für die Firma.

Kann Sie sich auch politisch vom Vater loslösen und ein eigenständiges Profil entwickeln?
So wie sie es wirtschaftlich geschafft hat, den eigenen Weg zu finden, wird es ihr sicherlich auch politisch gelingen. Da bin ich mir sicher. Frau Martullo ist keine Person, die man an die Hand nehmen muss. Sie hat einen eigenen Willen – und eine starke Meinung.

Wo liegen denn die politischen Prioritäten einer Frau Nationalrätin Martullo-Blocher?
Sie wird sich sicherlich sehr stark für den Werkplatz Schweiz einsetzen. Gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen werden zentral sein, also alles, was mit Unternehmensförderung und Unternehmenssteuern und so weiter zu tun hat. Arbeitsplätze werden ebenfalls wichtig sein. Und dann natürlich Währungsfragen, so weit der Nationalrat etwas dazu zu sagen hat.

Das klingt nach einem klassisch liberalen Programm. Steht die Tochter damit nicht stärker auf der Linie der FDP? In der Zuwanderungspolitik, einem zentralen Thema der SVP, favorisiert sie Schutzklauseln – und keine enge Auslegung der Einwanderungsinitiative.
Dazu muss ich leider sagen, dass ich der falsche Ansprechpartner bin.

In Ordnung, dann eine andere Frage: Sehen Sie politische Differenzen zwischen den Positionen von Vater und Tochter?
Nein, eigentlich nicht.

Ist der Vater als politisches Superschwergewicht eine Hypothek für die Jungpolitikerin Martullo – oder spült er sie quasi sofort an die Spitze der SVP?
Das ist schwer zu sagen. Christoph Blocher hat zumindest mehrmals gesagt, die Tochter mache vieles besser als er selbst.

Ist Frau Martullo also die bessere Blocherin?
Sie hat sicherlich das berühmte «Bauchgefühl» und – wie soll ich es sagen – eine gewisse Unverfrorenheit. Dazu kommt eine unheimliche analytische Stärke und eine grosse Portion Selbstdisziplin, die vielleicht beim Vater nicht so ausgeprägt ist. Sie setzt klare Prioritäten, trennt Wichtiges von Unwichtigem, hat ein hervorragendes Gedächtnis und kommt – entgegen zahlreicher Medienberichten – mit den Leuten eigentlich sehr gut zurecht.

Sie hat also das Potenzial, den SVP-Übervater zu überflügeln?
Sehr wahrscheinlich.

Rechnen Sie mit einer Frau Martullo als Nachfolgerin für Frau Widmer-Schlumpf? Immerhin sind beides Frauen aus dem Bünderland, ein Umstand, der Frau Martullo beim Sturz der aus der SVP ausgeschlossen BDP-Bundesrätin helfen könnte.
Lassen Sie mich das so sagen: Frau Martullo macht es sich auf jeden Fall nicht einfach, ausgerechnet in Graubünden anzutreten. Heinz Brand ist ein sehr anerkannter Politiker. Die Strategie besteht wohl eher darin, dass man einen zusätzlichen Sitz erobern möchte. Das könnte durchaus auf Kosten der BDP gehen. Ob Frau Martullo aber Bundesratsambitionen hat, bleibt abzuwarten.

* Karl Lüönd ist Journalist und Publizist. Er ist Autor der Unternehmensbiographie «Erfolg als Auftrag». Das Buch ist 150 Seiten stark und wurde anlässlich des 75-Jahr-Jubiläums der Ems Chemie vor vier Jahren publiziert.

 
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