Die internationale Gemeinschaft befindet sich in einem epochalen Wandel. Im Grossen und Ganzen konkurrieren zwei Modelle der Weltordnung, wie die «Financial Times» kürzlich hervorhob: ein altes, das auf wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Globalisierung beruht – und ein neues, derzeit entstehendes, das auf dem Wettbewerb der Grossmächte basiert.
In den letzten Jahrzehnten der Globalisierung hat sich China durch seinen wirtschaftlichen Aufschwung zu einem wohlhabenderen Land entwickelt. Anderseits hat sich China dadurch auch in eine bedrohliche Weltmacht verwandelt, die Milliarden in ihre militärische Aufrüstung steckt und die eigenen territorialen Ambitionen auf Nachbarländer ausdehnt. Durch die Verschiebung der internationalen Machtverhältnisse fühlt sich China verstärkt in der Lage, eine alternative Weltordnung auf der internationalen Bühne voranzutreiben.
Die kompetitive Antwort der USA auf Chinas Aufstieg und der damit verbundene Ausbau der sicherheitspolitischen Beziehungen zu Ländern wie Australien, Indien, Japan und Taiwan veranlasst viele Staaten in Asien und Europa, vermehrt zwischen ihren sicherheitspolitischen Bindungen zu den Vereinigten Staaten und ihren wirtschaftlichen und handelspolitischen Beziehungen mit China abzuwägen.
In früheren Jahren betrachtete die chinesische Regierung die Europäische Union als eine Handelspartnerin, mit welcher wirtschaftliche Interessen mit deutlich weniger (geo-)politischen Spannungen verfolgt werden konnten als mit Washington.
«Schweizer Unternehmen dürfen ihre Abhängigkeiten vom chinesischen Markt nicht vertiefen.»
In letzter Zeit entwickeln sich die Beziehungen zu Europa jedoch zu einem der schwierigsten Themen für Peking, unter anderem wegen Chinas zunehmend konfrontativer Haltung gegenüber Taiwan, wegen politischer Fehleinschätzungen im Rahmen von Infrastrukturprojekten und aufgrund der angespannten Menschenrechtslage in der Provinz Xinjiang.
Die jüngsten geopolitischen Verschiebungen haben den Trend beschleunigt, sich den Vereinigten Staaten als wichtigsten Sicherheitsgaranten in Europa und Asien anzunähern und rein wirtschaftlichen Bedenken weniger Beachtung zu schenken. Auch die Schweiz sollte angesichts ihrer bisher zögerlichen Haltung mehr tun, um für künftige Eskalationen vorzusorgen.
Grosse Unternehmen sollten davon abgehalten werden, ihre Abhängigkeit vom chinesischen Markt zu vertiefen, und die Drohungen Pekings gegenüber Taiwan sollten auf diplomatischem Weg expliziter angesprochen werden. Gleichzeitig muss sich die Schweiz auf ein Szenario vorbereiten, in dem die Abschreckungsstrategie versagt und es zu einem Angriff auf Taiwan kommt. Beides erfordert eine drastische Verringerung der Abhängigkeit von China.
«Die Schweiz sollte sich stärker mit der EU koordinieren»
Es wäre auch im Interesse der Schweiz, mehr mit gleichgesinnten Partnern zusammenzuarbeiten. Dies wäre vor allem die Europäische Union, die in allen aktuellen aussenpolitischen Dokumenten der Schweiz seit 2019 erwähnt wird. Das würde eine Harmonisierung der schweizerischen China-Politik mit derjenigen der EU erfordern. In einem ersten Schritt würde dies bedeuten, dass sich Vertreterinnen und Vertreter der EU-Mitgliedstaaten und der Schweiz künftig stärker koordinieren und sich offiziell über kritische Fragen zu China austauschen.
Eine bessere Koordination mit gleichgesinnten Ländern liegt im Interesse aller und würde nicht bedeuten, dass die Schweiz ihre langjährige Neutralitätspolitik aufgeben müsste. Abgesehen davon wird in der China-Strategie erwähnt, dass sich die Schweiz, sollte es so weit kommen, auf die Seite derjenigen Länder stellen würde, mit denen sie ihre Werte und Grundprinzipien teilt.
Taiwan wird im kommenden Jahr ein immer wichtigeres Thema in den Beziehungen zwischen der EU und China sein, da die Präsidentschaftswahlen auf der Insel im Januar 2024 näher rücken, Washington seine militärische Unterstützung für Taipeh verstärken wird und Japan Taiwan während seiner G7-Präsidentschaft auf die multilaterale Tagesordnung setzen wird.
Die Aussenpolitik eines Landes ist ein Ausdruck der jeweiligen Zeit, und in Zeiten des Wandels, der hohen Volatilität und geopolitischen Spannungen muss auch die Schweiz ihr Vorgehen anpassen. Bisher hat sie es vermieden, sich klar zu äussern. Anstelle von «Wandel durch Handel» wird die Schweiz – zusammen mit anderen westlichen Partnern – einen Ansatz des «Friedens durch Kooperation» im Umgang mit Russland und China verfolgen müssen. Das sind die Realitäten einer konfrontativeren Welt.
Simona A. Grano ist Dozentin an der Universität Zürich und leitet das «Taiwan Studies Project», durch welches unter anderem das Angebot taiwanesischer Lehrveranstaltungen ausgebaut werden soll.