Nach der demütigenden Kehrtwende in der Steuerpolitik wächst der Druck auf die britische Premierministerin Liz Truss. Umfragen zeigten, dass eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung und auch ihrer konservativen Parteimitglieder unzufrieden ist mit der Regierungschefin.
Schon jetzt wird über eine mögliche Nachfolgerin oder einen Nachfolger spekuliert. Selbst die beiden grossen Boulevardzeitungen «The Sun» und «Daily Mail», die der konservativen Partei in der Regel nicht abgeneigt sind, titelten am Dienstag mit vernichtenden Schlagzeilen.
«Geister-Premier» war auf dem Titelblatt der «Sun» zu lesen. Dazu gab es ein Foto, wie Truss am Montag im Parlament schweigend neben ihrem Finanzminister Jeremy Hunt sass. Die «Daily Mail» titelte zu einem Porträt der 47-Jährigen: «Im Amt, aber nicht an der Macht». In der Kommentarspalte hiess es, Truss sei nun eine «lahme Ente», die sich nur noch mit den Fingerspitzen an ihren Posten klammere.
Fragerunde am Mittwoch könnte ausschlaggebend sein
Mehrere Abgeordnete ihrer eigenen Partei hatten Truss bereits öffentlich zum Rücktritt aufgefordert. Die Premierministerin warb am Dienstag um Unterstützung in ihrer Fraktion. Am Morgen leitete sie eine Kabinettssitzung, später wurde sie zu einem Treffen mit den Brexit-Hardlinern der sogenannten European Research Group (ERG) erwartet.
Als entscheidend für ihre Zukunft galt unter anderem, wie sich die Premierministerin bei der wöchentlichen Fragestunde im Parlament am Mittwoch schlagen sollte.
Steht der Nachfolger schon in der Pipeline?
Verteidigungsstaatssekretär James Heappey verteidigte Truss in einem Interview im Nachrichtensender «Sky News» am Dienstag, warnte aber auch, es dürften nun «keine weiteren Fehler» mehr geschehen. Berichten zufolge werden im Hintergrund verschiedene Szenarien durchgespielt, wie Truss aus dem Amt gedrängt werden kann.
Erwartet wird, dass sich die Fraktion der Tories, wie die Konservativen auch genannt werden, zunächst auf einen Nachfolgekandidaten einigen wollen, um ein weiteres zeitraubendes Auswahlverfahren mit Befragung der Parteimitglieder zu vermeiden.
Als Favorit gilt Ex-Finanzminister Rishi Sunak, der im Rennen um die Nachfolge von Ex-Premier Boris Johnson im Sommer gegen Truss in einer Stichwahl unter den Parteimitgliedern unterlegen war. Ebenfalls als aussichtsreich gelten die für Parlamentsfragen zuständige Ministerin Penny Mordaunt und Verteidigungsminister Ben Wallace. Selbst eine Rückkehr Johnsons wird immer wieder ins Spiel gebracht.
Autorität von Truss ist dahin
Truss, die erst seit vergangenem Monat im Amt ist, hatte einen Rücktritt zuletzt strikt abgelehnt. «Ich werde bleiben, weil ich gewählt wurde, um für dieses Land zu liefern», sagte Truss am Montag in einem BBC-Interview. Sie werde die Konservativen auch in die nächste Wahl führen, fügte sie hinzu.
Doch ihre Autorität ist schwer beschädigt: Der erst am Freitag ins Amt gekommene Finanzminister Hunt hatte am Montag so gut wie alle steuerpolitischen Vorhaben der Premierministerin rückgängig gemacht. Truss entschuldigte sich in der BBC für das entstandene Chaos an den Finanzmärkten.
Ihren bisherigen Finanzminister Kwasi Kwarteng hatte sie bereits am vergangenen Freitag gefeuert. Ob das reicht, um ihr Amt zu retten, gilt aber als fraglich.
Wie das Meinungsforschungsinstitut YouGov am Dienstag mitteilte, haben nur zehn Prozent der Briten eine positive Meinung von der Regierungschefin. 80 Prozent sehen sie kritisch. Zehn Prozent äusserten keine Meinung. Truss ist damit noch unbeliebter als es ihr skandalumwitterter Vorgänger Johnson in seiner Amtszeit je war.
Selbst in der Konservativen Partei sprechen sich 55 Prozent der Befragten in einer ebenfalls am Dienstag veröffentlichten YouGov-Umfrage für einen Rücktritt von Truss aus. Kaum besser sieht es für die Konservative Partei insgesamt aus, die in Umfragen meilenweit hinter der oppositionellen Labour-Partei liegt.
Die Konservativen um Truss sind in einer Zwickmühle. Einerseits gibt es kaum Hoffnung, dass sie mit der derzeitigen Partei- und Regierungschefin aus dem Umfragetief kommen, andererseits würde der zweite Wechsel im Amtssitz 10 Downing Street eine vorgezogene Neuwahl – und einen Sieg Labours – wohl so gut wie unausweichlich machen.
(sda/mth)