Die Erwartung aufgrund der Wahlprognosen war, dass die Grünliberalen massiv zulegen würden. Die Überlegung der Politologen? Von der Klimapolitik enttäuschte bürgerliche Mittewähler würden zur Alternative der politischen Mitte, den Grünliberalen, abwandern – aber nicht zur den Grünen. Sie stehen im Links-Rechts-Schema noch linker als die Sozialdemokraten (SP).

Diese Erwartung war falsch. Die wahren Gewinner sind die linken Grünen. Sie erhielten 17 neue Mandate und sind jetzt die vierstärkste Fraktion im Nationalrat. Die neue Reihenfolge in der grossen Kammer? Die SVP erhält 53 Stimmen, die SP 39, die FDP 29, Grüne 27 und die CVP 25 Sitze. Die Grünliberalen (Glp) sind mit 16 Nationalräten bloss die sechststärkste Kraft.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Die Grünen werden wohl auch im Ständerat drei Sitze holen, zwei mehr als bisher und ziehen gleichauf mit der SVP. Die GLP werden wohl zwei Sitze haben. Aber definitiv wissen wird man es erst nach dem zweiten Wahlgang.

Der Wahlerfolg der Grünen in beiden Kammern zeigt, dass ihre Politik, obwohl sehr links, salonfähig, geworden ist. Das augenfälligste Resultat passierte im ländlichen Glarus. Dort stach der neue, grüne Kandidat Mathias Zopfi den bisherigen SVP-Ständerat Werner Hösli aus.

Mit der neuen Zusammensetzung kommen wirtschaftsliberale Projekte ins Rutschen. Ein paar Beispiele.

  • Rahmenabkommen Schweiz-EU: Die erstarkten Grünen machen den Abschluss eines Rahmenabkommens nicht einfacher. Die befürwortende FDP und GLP schaffen es nicht alleine, das Volk von einem solchen Abkommen zu überzeugen. Nur wenn sie mit den Grünen und der CVP einen Pakt schliessen, können sie die EU-skeptischen SP und SVP überstimmen.

 

  • Abbau der Verrechnungssteuer und Abschaffung der Stempelsteuer: Das Projekt, dessen Botschaft kommenden Frühling erwartet wird, hätte dem Finanzplatz einen Push gegeben. Doch die FDP und GLP schaffen dieses Projekt nicht im Alleingang. Nur wenn die SVP geschlossen dafür stimmen, schafft es die Vorlage durch den Nationalrat. Die CVP könnten sie allerdings im Ständerat blockieren, denn ihnen ist die steuerlich Abschaffung der Heiratsstrafe wichtiger als das wirtschaftspolitische Anliegen.

 

  • Mehr Freihandelsverträge: Sie sind ein populäres Anliegen der FDP und Grünliberalen. Doch die SVP blockieren sie wegen der Bauern, die SP und Grünen wegen der fehlender zwingender Nachhaltigkeitsregeln.

Nichts ändern wird sich bei der Wettbewerbspolitik: Eine liberale Auslegung des Kartellrechts ist ein populäres Anliegen der FDP und Grünliberalen. Sie wollen keine verschärfenden Regeln gegen den Missbrauch der Marktmacht von Unternehmen in Kartellgesetz. Dank der Unterstützung der SVP wird sich wohl wenig ändern, trotz der viel stärkeren Grünen.

Wenig Probleme haben dürften unter den neuen Vorzeichen die verschärften Regeln im C02-Gesetz. Die Reform des Gesetzes wird im Dezember vom neu gewählten Nationalrat behandelt werden. Da geht es um die Halbierung der CO2-Emissionen bis 2030. Um das hoch gesteckte Ziel zu erreichen, beschloss der Ständerat verschiedene Massnahmen, darunter ein faktisches Verbot von neuen Ölheizungen in Altbauten ab 2023, schärfere CO2-Grenzwerte für importierte Neuwagen, einen Benzinpreisaufschlag von bis zu 12 Rappen und eine Flugticketabgabe von 30 bis 120 Franken. Dies freut den Dachverband Swisscleantech, doch er will noch mehr: Der Rat soll das Inlandziel für den CO2-Abbau nochmals erhöhen und sich so internationalen Vorgaben der Pariser Klimakonvention angleichen.

Mit freiwilligen Massnahmen im Umweltschutz dürfte es mit den erstarkten Grünen im Nationalrat jedenfalls vorbei sein. Wirtschaftsliberale werden es schwer haben.

Ohrfeige für die Gewerbeverbandsvertreter

Normalerweise vertreten zwei Dachverbände die Wirtschaft: Economiesuisse und der Schweizerische Gewerbeverband (SGV). Sie haben in vielen wirtschaftspolitischen Fragen ein erhebliches Gewicht, auch als Sozialpartner.

Der SGV machte seinen Einfluss direkt im Nationalrat geltend: Sein Präsident, der Unternehmer Jean-François Rime politisierte als SVP-Nationalrat, der Direktor Hans-Ulrich Bigler, war Teil der Zürcher FDP-Abordnung. Nun sind beide nicht wieder gewählt worden und scheiden aus dem Nationalrat aus.

Wahrscheinliche Folge: Rime fehlen die nötigen Argumente, um als Präsident des Dachverbandes für weitere vier Jahre wiedergewählt zu werden. Diese Wahl steht demnächst an. Normalerweise hätte er altershalber abtreten müssen. Seine Unterstützter wollten aber die Statuten ändern, so dass seine Wiederwahl möglich wäre. Dieses Vorgehen ist jetzt in Frage gestellt.

Der konkurrierende Dachverband Swisscleantech glaubt, dass Rime und Bigler die Quittung dafür erhalten haben, dass sie sich zuwenig für Klimathemen einsetzten: "Der Gewerbeverband fiel in der Vergangenheit dadurch auf, dass er sich gegen jegliche Anstrengungen der Klimapolitik gestemmt hat. Das gab auch innerhalb des Gewerbeverbandes offenbar Widerstand, denn auch für das Gewerbe ist die Klimapolitik ein zentrales Thema", sagt Geschäftsführer Christian Zeyer. Das Wahlresultat sei ein klares Votum für eine klimataugliche Wirtschaft.

Bigler erreichte im Kanton Zürich bloss 58’000 Stimmen, viel weniger als die FDP-Beste Doris Fiala mit 72’000. Auch Dieter Kläy (FDP), ein Mitarbeiter Biglers und Gewerbeverbandskader aus dem Kanton Zürich, hatte keine Chance in der Wahl, ebensowenig wie Stefan Brupbacher, Swissmem-Direktor und früherer Generalsekretär des Wirtschaftsdepartements unter Johann Schneider-Ammann.

Viel besser erging es diversen Vorstandsmitgliedern von Economiesuisse. Die Waadtländerin Isabelle Moret (FDP), Vertreterin Fial, ist wieder gewählt worden. Ebenso schaffte es Magdalena Martullo-Blocher für die SVP. Sie sitzt dort offiziell als Vertreterin von Scienceindustries. Marcel Dobler, Präsident ITC Switzerland, wird von St. Gallen aus ebenso für die FDP in den Nationalrat abgeordnet wie Martin Schmid, Anwalt und Bündner Ständerat. Er hat gute Chancen im zweiten Wahlgang wiedergewählt zu werden. Knapp nicht geschafft hatte es Andreas Züllig, Hotelierverbandspräsident und Vertreter der FDP Graubündens.

Ebenfalls nicht von der Partie im Nationalrat ist Franziska Barmettler, Vertreterin der Grünliberalen aus Zürich, Vorstandsmitglied von Swisscleantech und Leiterin Sustainability bei Ikea Schweiz. Zwar erreichte sie beachtliche 47'000 Stimmen, aber eben bloss halb so viele wie die gewählte Glp-Parteipräsidentin Tiana Moser aus Zürich. Wiedergewählt in den Nationalrat und Vorstandsmitglied von Swisscleantech sind Jürg Grossen, Präsident der Grünliberalen sowie SP-Fraktionschef Roger Nordmann für den Kanton Waadt. (val)