Freund und Feind zeigt sich überrascht. Das Lieblingsgerät von Bundesrat Guy Parmelin ist sein Handy. Geht es um eine strittige Vorlage, müssen Verbandsvertreter und Parteispitzen gefasst sein, dass er anruft und gleich zur Sache kommt. «Er hat kein Problem, am Handy den Spielraum für politische Kompromisse auszuloten», sagt ein Spitzensozialpartner. Er pflege einen sehr direkten Stil ohne falsche Hemmungen. «Daran muss man sich erst einmal gewöhnen.»

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Als Verteidigungsminister agierte Parmelin glücklos. Wenig brachte er zustande. Doch jetzt, als Chef des Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung, hat er nach Einschätzung vieler an Format gewonnen. Im öffentlichen Auftritt wirke er staatsmännisch, in Zweiergesprächen und bei geselligen Events als sehr zugänglich, mit allen per Du. Er könne stundenlang über gute Küche reden und zeige sich in der Lösungsfindung «unkompliziert und undogmatisch».

Die Unterschiede zu seinem Vorgänger Johann Schneider-Amman sind frappant. Letzterer organisierte sein Generalsekretariat so, dass Kritik und Lösungsvorschläge selten zu ihm vordrangen. Die Folge war «eine Blockade in der Wirtschaftspolitik», sagt ein führender CVP-Ständerat.

Ein Ständerat der FDP sieht die Ursache in Schneider-Ammanns Haltung. Er habe als Bundesrat den Fehler gemacht, wie ein Patron zu denken. «In strittigen Dossiers liess er zuerst die Experten reden. Dann fällte er einen Entscheid und glaubte, kraft seiner Autorität schaffe es dieser automatisch durchs Parlament. Doch Bundesbern tickt anders.» Patronale Autorität nütze dort wenig. «Deshalb schlug sich Schneider-Ammann im Parlament den Kopf blutig.»

«Das Seco beginnt zu denken»

Anders der schlaue Parmelin; er spüre, wie Dossiers einzufädeln seien. Er sei viel politischer unterwegs als sein Vorgänger, verlautet es aus diversen Quellen. Die Blockade könnte jetzt überwunden werden. Doch zwei seiner Kader beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) fahren ihm in die Parade, denn sie verfolgen einen wesentlich liberaleren politischen Kurs als Parmelin und trauern wohl seinem Vorgänger nach. Die Rede ist von Eric Scheidegger, Leiter für Wirtschaftspolitik, und Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit. Für sie gilt die Prämisse, der Staat habe sich zurückzuhalten, der Markt solle es richten. Parmelin gilt als interventionsfreudiger.

Dies zeigte sich bereits im Februar beim Dossier Investitionskontrollen mit China. Der SVPler bejahte Einschränkungen und versprach Ständeräten einen offensiveren Kurs, während Scheidegger staatliche Eingriffe ablehnte. Damit setzte sich Letzterer zunächst durch. Doch dann, vor einem Monat, eskalierte die Sache im Dossier Rahmenabkommen: Parmelinwollte auch die negativen Folgen der Personenfreizügigkeit der Schweiz mit der EU im Bundesrat erörtert haben. Das Seco sperrte sich wiederum dagegen. Parmelins Entourage beharrte darauf und verfasste eine eigene, wesentlich EU-kritischere Beurteilung als das Seco. Die Meinungsdifferenz gelangte in die Presse. Fortan hiess es, das Seco habe seine Meinung geändert.

Tatsächlich geändert hatte aber nur die Meinung des Chefs. Dafür erhielt er Applaus. Die SP-Nationalrätin Jacqueline Badran sagt, endlich spreche man im Wirtschaftsdepartement auch über Lohndruck und über ältere Arbeitnehmer, die vom Markt beiseitegeschoben würden. Parmelin sei daran, «den undifferenziert neoliberalen Kurs des Seco umzukrempeln». Ein SVP-Nationalrat triumphierte, «endlich beginnt das Seco zu denken». Selbst die politische Mitte freut sich über ihn. Er zeige «spürbare Sensibilität für die Ansichten einer Mehrheit des Volkes». Ironischerweise habe es einen SVPler gebraucht, um mit FDP-Dogmen in der Wirtschaftspolitik aufzuräumen.

Beim zweiten Topkader, Boris Zürcher, fiel die Differenz zu Parmelin im Dossier Förderung älterer Arbeitsloser auf. Das Seco stellt sich seit Jahren auf den Standpunkt, Nichtstun sei politisch das Klügste. «Zürcher hat stets alle Initiativen ausgesessen», verlautet aus mehreren Quellen. Doch diesmal lief es anders. Im Frühjahr kam das Thema erneut aufs Tapet. Der Bundesrat wollte dazu ein Päckli schnüren. Alain Berset und Karin Keller-Sutter schlugen eine Überbrückungsrente für entlassene Sechzigjährige vor. Parmelin lehnte diese zwar ab, verlangte aber vom Seco, dass Zürcher sich einen Ruck gebe. So forderte er die Sozialpartner auf, bei ihm gemeinsam erarbeitete Lösungsvorschläge einzureichen.

Kritik an Führung

Das Seco lehnte sie zunächst alle ab. Parmelin allerdings schickte seinen persönlichen Mitarbeiter Martin Baltisser, den früheren SVP-Generalsekretär, in die entscheidenden Sitzungen. So stellte er sicher, dass Zürcher die Vorschläge aufs Auge gedrückt bekam. Das Resultat ist bekannt: Mitte Mai beschloss der Bundesrat auf Antrag Parmelins vier Fördermassnahmen des Seco, darunter ein Impulsprogramm und eine auf Ältere spezialisierte Jobvermittlung. Gleich agiert er in anderen Dossiers: Wenn er spürt, dass es nicht in seine Richtung geht und Druck nötig ist, schickt er die Allzweckwaffe Baltisser.

Die wichtigsten Politdossiers von Guy Parmelin

Rahmenabkommen/Europa Er gibt sich skeptisch gegenüber der Personenfreizügigkeit. «Er hat hier gerade noch die Kurve gekriegt», so ein Insider.

Freihandel Er macht weiter, wo Johann Schneider-Ammann aufgehört hat. Er hat aber einen besseren Draht zu Bauern, ohne die Industrie zu vergraulen.

Wirtschaftspolitik Er bricht mit dem Erbe des Manchester-Liberalismus.

Arbeitsmarkt Er rückt näher an die Sorgen der kleinen Leute.

Agrarreform 2022 Da wird er nur kleine Änderungen vorschlagen, etwa die Förderung verarbeiteter Agrarprodukte im Ausland.

Bildung Eine Riesenbaustelle, lange schlecht geführt, ein Bundesamt, das es zu renovieren gilt. Parmelin ist neu dabei.

Wettbewerb Er setzt kleine Akzente, etwa zugunsten von Hotels im Fall Booking.com.

Der Widerstand seiner Direktoren hat nun Folgen bis ganz hinauf, bis zur Seco-Chefin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch: Ihre Führung wird in Zweifel gezogen. Als Handelsdiplomatin wird sie gelobt, doch Scheidegger und Zürcher lässt sie an der langen Leine. «Sie versteht sich als Moderatorin, nicht als Amtschefin», sagt ein FDP-Ständerat. Dies sei auf die Dauer untragbar. «Als Vorsteher muss er seine Kaderpositionen mit loyalen Leuten besetzen. Das ist im Seco nicht der Fall.» Politiker glauben, dass Ineichen, Scheidegger und Zürcher früher oder später ersetzt werden.

Auffallend ist: Kritik wird selten geäussert. Einige finden, Parmelin fehle das Format eines Pascal Couchepin oder Adolf Ogi, doch für ein abschliessendes Urteil sei es noch zu früh. Sie alle hoffen, dass der Wirtschaftsminister auch sie eines Tages aufs Handy anruft. Parmelins neuer Politstil elektrisiert Bundesbern.