Angesichts steigender Preise für Gas und Strom ertönen aus dem Nationalrat nicht nur Hilferufe, sondern auch Vorwürfe an den Bundesrat. Dieser habe trotz sich abzeichnender Krise nicht genügend vorgesorgt. Die Energieministerin und der Wirtschaftsminister kontern.
Sprecherinnen und Sprecher der sechs Fraktionen haben sich am Mittwoch besorgt geäussert über die steigenden Energiepreise und die nicht auszuschliessende Mangellage im kommenden Winter. Alle Fraktionen hatten zum Thema dringliche Interpellationen eingereicht.
SP und Grüne fordern gezielte Hilfen an Haushalte. Aber auch Unternehmen, die viel Strom verbrauchen, diesen heute im freien Markt beziehen und besonderen Preissteigerungen ausgesetzt sind, haben sie im Fokus. «Grossverbraucher sind sehr oft auch grosse Arbeitgeber», sagte Aline Trede (Grüne/BE) dazu.
Menschen sind «too big to fail»
Kurzfristig müsste diesen Unternehmen nach der Vorstellung der Grünen zinslose oder kostengünstige und schnell rückzahlbare Darlehen zur Verfügung gestellt werden. Mittel- und langfristig sollten sie die Möglichkeit erhalten, in die Grundversorgung zurückzukehren, aber mit Auflagen.
«Der Bund hat die Axpo gerettet und muss nun auch die Haushalte schützen», sagte Roger Nordmann (SP/VD). Auch die Menschen im Land seien «too big to fail», nicht nur die Axpo, ergänzte Cédric Wermuth (SP/AG). Die SP wünscht sich Sparziele mit Branchenverträgen und Kurzarbeitsentschädigung ohne Karenzfrist wie in der Corona-Krise.
De GLP wolle eine solide Datengrundlage für gezielte Hilfe statt rascher und unspezifischer Massnahmen, sagte Barbara Schaffner (ZH). Da eine «regelrechte Preiskeule» zuschlage, stehe Liquiditätsunterstützung im Vordergrund. Die Schweiz habe es beim Strom zudem selbst in der Hand, für verfügbare Energie zu sorgen.
«Kein Wille, Krise zu lösen»
Die FDP erwarte vom Bundesrat mehr Engagement für eine bessere Integration in den europäischen Strommarkt, hielt Matthias Samuel Jauslin (AG) fest. Wenn Unterstützung vom Bund nötig sei, sollten bestehende Instrumente wie Kurzarbeit genutzt werden, sagte Susanne Vincenz-Stauffaucher (SG). Führe teurere Energie zu weniger Aufträgen, könne dieses Instrument genutzt werden.
Christian Imark (SO) kritisierte namens der SVP einmal mehr die gescheiterte Energiestrategie und die versagenden «falschen Konzepte und Prognosen des Bundes». Sein Freiburger Fraktionskollege Pierre-André Page doppelte nach: «Wir spüren keinen Willen, die Krise zu lösen, zum Nutzen von Bevölkerung und Unternehmen.»
Die vom Bundesrat an den Tag gelegte Passivität sei nicht nachvollziehbar, sagte auch Nicolo Paganini (Mitte/SG). Ob Härtefall-Hilfe für KMU oder Entlastung der Bevölkerung: Die Arbeitsgruppen tagten vor sich hin. Der Bundesrat weigere sich rundweg, sich mit Vorschlägen auseinanderzusetzen.
Bundesrat sei sich der Herausforderung bewusst
«Es wurde viel gemacht, aber es bleibt noch viel zu tun», hielt Wirtschaftsminister Guy Parmelin dagegen. Der Bundesrat sei sich der Herausforderung bewusst, die die Energiepreise für Private und die Betriebe darstellten. Er unterschätze die Lage nicht und tue alles, was möglich sei, um die Wirtschaft nicht zu gefährden.
Hilfsmassnahmen müssten konkret, gezielt und möglichst ohne Nebeneffekte sein, so Parmelin. Vorschläge müssten genau geprüft werden. Eine Arbeitsgruppe, in der fünf der sieben Departemente der Bundesverwaltung vertreten sind, befasst sich zurzeit mit möglichen Entlastungsmassnahmen. Bis Ende Oktober soll sie Ergebnisse vorlegen.
Der Bundesrat habe sehr viel getan, um die Schweiz für den Winter gut aufzustellen, sagte Energieministerin Simonetta Sommaruga. Doch eine Garantie, dass es nicht zu einer Mangellage für Gas und Strom komme, gebe es nicht.
Rat will seinen Saal weniger heizen
Sommaruga plädierte für den raschen Ausbau der Produktion von einheimischer Energie. Für die sichere Versorgung zentral sei der Mantelerlass zur Stromversorgung. Weil der Winter 2023/2024 möglicherweise noch schwieriger werden könnte als der kommende, müsse mehr einheimische Energie produziert und gespeichert werden. "Es braucht mehr Winterstrom und mehr Effizienz."
Ein Votum für kühlere Temperaturen gab der Rat unmittelbar nach der Debatte ab. Mit 158 zu 20 Stimmen hiess er einen Ordnungsantrag von Andrea Geissbühler (SVP/BE) gut, den Nationalratssaal in der Wintersession auf noch zwanzig Grad zu heizen. Das spare Energie und zugleich Heizkosten, sagte Geissbühler.
(SDA/mth)