Raoul Weil, der in Monaco, New York, Singapur und Hongkong lebte, lernt die Kleinräumigkeit kennen. Zuerst sass er in einer Minizelle im Dozza-Gefängnis von Bologna, dann in einem vergitterten Zimmer im Broward County Gefängnis in Fort Lauderdale. Nun ist er bei Freunden in New Jersey festgesetzt, mit einer GPS-Fussfessel. Für den einst obersten Vermögensverwalter der UBS schliesst sich mit der Überwachung durch die US-Justiz der Kreis: Unzählige Banken kriechen vor den USA im Rahmen eines Ablassprogramms zu Kreuze, gleichzeitig muss sich Weil, gemäss Anklage einer der Architekten der Schwarzgeldstrategie, auf US-Boden verantworten.
Weils Prozess ist ein Höhepunkt im Steuerdisput. Während die US-Behörden bisher auf tiefchargige Private Banker zielten, steht nun einer der Grossen vor Gericht. Weil ist weder Whistleblower noch Subalterner, sondern war CEO des Global Wealth Management & Business Banking mit intimsten Kenntnissen der Weltmacht UBS. Es war jenes Institut, bei dem Weil steil aufstieg und rasch fiel. Zurück blieben bei Weil Enttäuschung über seinen ehemaligen Arbeitgeber.
Als vor 5 Jahren 250 UBS-Kunden per Notrecht verraten wurden und das Bankgeheimnis ausgehebelt, war Weil bereits ein «Fugitive». Die US-Justiz hatte ihn im November 2008 angeklagt, danach wurde er zur Fahndung ausgeschrieben. Er habe ein reines Gewissen, liess er verkünden. Stellen wollte er sich den USA aber nicht. 08-CR-60322 lautet sein Fall am Gericht von Fort Lauderdale. Sein Anwalt, Aaron Marcu, kündigt Widerstand seines Mandaten an. Das ist wohl Taktik. «Die Chance ist gross, dass er kooperiert und andere Leute unter den Bus wirft», sagt Edward Robbins, Anwalt bei Hochman, Salkin, Rettig, Toscher & Perez, der jahrelang für die US-Justiz Steuerbetrüger verfolgte.
Gefängnis bis zu 5 Jahren droht
Wenn Weil in dieser Woche aussagt, kann er sich kaum Hoffnungen auf einen Freispruch machen. Die Anklage verfügt über viel Material, um ihren Vorwurf zu belegen, wonach er und «Co-Konspiratoren» sich «willentlich und wissentlich verschworen» hätten, um die USA «zu betrügen». Darauf steht Gefängnis bis zu 5 Jahren. Zudem haben sich bislang 36000 US-Steuerhinterzieher bei der Justiz geoutet und die Schweizer Banker belastet.
Weils Problem ist, dass er gemäss Justiz nicht schnell genug auf die Bremse trat. Dafür will ihn Staatsanwältin Kathryn Keneally, welche auch das US-Ablassprogramm durchführt, am Wickel nehmen. Im Unterschied zu verurteilten Mitläufern gehörte Weil bei der UBS zum innersten Kreis, wo das System mit dem vielen Schwarzgeld optimiert wurde – mit präparierten Geheimlaptops, internen Agenten-Schulungen und Heerscharen spezialisierter Anwälte und Treuhänder für steueroptimierte Strukturen. Weil hatte Befehlsgewalt und konnte in die eine oder in die andere Richtung steuern.
Weil drückte zu spät auf die Bremse
Er entschied sich für das Versteckspiel, initiierte Wachstumsprogramme, bei denen die neu dazugewonnenen Kundenvermögen das Nonplusultra waren, und dies trotz Warnsignalen und im Wissen, dass die Geschichte böse enden könnte. Erst als die USA die UBS bereits ins Visier nahmen, stand er auf die Bremse. Im Sommer 2007 will Weil den US-Exit beschlossen haben; bis er diesen kommunizierte, dauerte es aber erneut mehrere Monate.
Dabei gilt Weil nicht als Hasardeur oder Blender, sondern als eher unauffällig. Der Sohn des Chefarchitekten beim Fleischverarbeiter Bell studierte Betriebswirtschaft an der Uni Basel. Verheiratet ist Weil mit S.L., die er im Private Banking der UBS kennenlernte. Das kinderlose Bankerpaar, das Reisen zu seinen Hobbys zählte, war nach der Anklageerhebung auf die Schweiz zurückgeworfen. Ins Private Banking kam Raoul Weil via Bankverein (SBV), wo in den 1990ern Marcel Ospel mit gewagten Zukäufen im Investment Banking aufs Tempo drückte. Unter Ospel schaffte der Bankverein einen historischer Coup: Er fusionierte mit der Bankgesellschaft. Der Gigant trug den Namen UBS, Ospel und seine Bankverein-Leute setzten sich durch. Schon bald übernahm das SBV-Urgestein Georges Gagnebin die globale Vermögensverwaltung, ihm wurde Marcel Rohner zur Seite gestellt. Gagnebin, Rohner und Weil seien die zentralen Figuren einer «Doppelstrategie» gewesen, behauptet Antoni Stankiewicz, ein Banker, der vor der Fusion bei der Bankgesellschaft Chef des weltweiten Offshore-Bankings war und nach der Fusion nur noch die Region Americas leitete.
Rechtslage nicht geklärt
Anfang der 2000er-Jahre verliess Stankiewicz die UBS im Streit, 10 Jahre später redete er vor Aufsichts- und Justizbehörden von einem angeblichen Betrugssystem. Gagnebin, Weil und weitere Spitzenleute der neuen UBS hätten sich geweigert, auf Neugeld-Akquisitionsziele zu verzichten, solange die Rechtslage in ausländischen Märkten nicht sauber geklärt sei. «Durch den Kauf der US-Grossbank Paine Webber sowie den geplanten Ausbau in den EU-Schwerpunktländern Deutschland, Frankreich, England, Italien und Spanien befinde sich die Bank in einer neuen Situation», hätten die Verantwortlichen an einer Sitzung im Jahr 2000 begründet.
Gagnebin habe gemeint, die UBS könne dank den neuen Organisationen vor Ort «viel unauffälliger und unbehelligter das steuerneutrale Geschäft» betreiben, und Raoul Weil habe betont, dass von «Deutschland politisch nichts zu befürchten» sei, da die UBS mit ihren deutschen Kunden «fast ein Kabinett bilden» könne. Das berichtete die «SonntagsZeitung» im Frühling 2010. «Rohner und Weil setzten Gagnebins Doppelstrategie fort, die beiden zogen nie den Stecker», sagte der Ex-UBS-Kadermann.
UBS-Mann Weil lässt im Sommer 2006 auch die letzte Chance aus
Ein Jahr später hielten Gagnebin, Rohner und Weil, die drei mächtigen Chefs der UBS-Vermögensverwaltung, erneut am US-Schwarzgeld fest, statt dieses wie gefordert auszulagern. Nun rief Raoul Weil, der 2002 globaler Offshore-Chef geworden war, das Programm TASTE for BUCKS ins Leben. Es stand für «Trust», «Advice», «Service», «Team» und «Emotions». BUCKS für «Big shift» (Wechsel von individueller Beratung zu Vermögensverwaltungsmandaten), «Using best practice», «Client centered offering», «Key clients» und für «Strive for growth». Es ging um mehr Kundenvermögen, Neugeld, Marktanteil – und mehr Bonus. Hinzu kam das TAS (Travel Access Service), das waren Laptops, die unter Weil von den Kundenberatern auf ihren Auslandreisen eingesetzt wurden und mit der Tastenkombination XTAS bis auf eine harmlose Standardpräsentation gelöscht werden konnten.
Im Sommer 2006 bot sich die letzte Chance, noch aus dem US-Business auszusteigen. Laut US-Anklage gegen Weil sollen Weil und sein Chef, Marcel Rohner, sich aber geweigert haben, «Empfehlungen von Managern zu folgen, das US-Offshore-Geschäft herunterzufahren, zu verkaufen oder abzutrennen, da dies zu teuer käme und zu viel schädliche Aufmerksamkeit erzeugen würde». Martin Liechti, der damals die Region Americas leitete und zwei Jahre später zum Kronzeugen gegen Weil werden sollte, hatte angeblich den Exit gefordert.
Die Finma betrachtete Rohner und Weil trotzdem als unschuldig. «Non-compliance is not an option», habe Rohner intern befohlen, und Weil habe darauf gepocht, dass für Non-Compliance «Zero Tolerance» gelte, hielten die Aufseher den UBS-Managern zugute. Ende 2008 verhandelten UBS-Juristen mit der US-Justiz über eine Befragung von Vermögensverwaltungschef Raoul Weil in den USA. Doch mit der wachsenden Gefahr einer Verhaftung blieb Weil in der Schweiz.
Brief vom Freundeskreis
Den US-Anklägern sind Raoul Weils Taten bekannt. Nun könnten sie ihn als Kronzeugen nutzen. Doch wozu? Sollte Weil uninteressant sein, dann bleibt ihm nur, seine Unschuld zu beweisen. Gelingt ihm das nicht, könnte auch die Schweiz aktiv werden. Um wieder ins Banking einsteigen zu können, hatte Weil der Aufsicht Finma versprechen müssen, nichts von illegalen Machenschaften im US-Business gewusst zu haben. «Sollte sich herausstellen, dass diese Erklärung unwahr ist, würde dies eine Strafverfolgung nach sich ziehen», hielt die Finma 2010 fest.
Vorerst aber muss Weil in Florida für seine Unschuld kämpfen. Und um sein Geld. Er hinterlegte eine Kaution von 10,5 Millionen Dollar, 9 Millionen stammen von ihm, der Rest von Freunden aus New Jersey. In der Schweiz macht sich derweil eine anonyme Gruppe stark für Weil. Die unter «Freundeskreis Raoul Weil» Auftretenden behaupten in einem nicht gezeichneten Schreiben, dass die Strukturen für die Schwarzgeldvermögen nicht auf Weils Konto gingen, sondern von einem kleinen Kreis spezialisierter Juristen der Grossbank gezimmert worden seien. Weil sei somit nicht der «Architekt» der US-Schwarzgeldvehikel.