Nach seinem überraschenden Trip in die ukrainische Hauptstadt Kiew ist US-Präsident Joe Biden am Dienstag zu Gast im Nachbarland Polen. In der polnischen Hauptstadt Warschau plant Biden unter anderem ein Treffen mit Präsident Andrzej Duda sowie eine Rede am Warschauer Königsschloss zum ersten Jahrestag des Kriegsbeginns in der Ukraine.
Bidens Ansprache in Warschau ist für den frühen Abend geplant – nur wenige Stunden nach einer Rede von Russlands Präsidenten Wladimir Putin in Moskau zur Lage seiner Nation. Die beiden liefern sich also eine Art Fernduell.
Erster Ukraine-Besuch seit Kriegsbeginn
Am Montag war Biden unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen nach Kiew gereist. Dort traf er Präsident Wolodymyr Selenskyj und besuchte, begleitet von Luftalarm, gemeinsam mit seinem Kollegen verschiedene symbolträchtige Orte in der Millionenmetropole. Biden nutzte den dramatischen Kurzbesuch vor allem dazu, der Ukraine anhaltende Unterstützung der USA zu versprechen und ein Signal der Geschlossenheit gegenüber Putin auszusenden. Wegen der grossen Sicherheitsrisiken hatte das Weisse Haus den Trip bis zuletzt geheim gehalten.
Für Biden war es der erste Besuch in der Ukraine seit dem Beginn des Krieges, der sich an diesem Freitag zum ersten Mal jährt. Laut Weissem Haus hatte die US-Regierung die russische Seite wenige Stunden vorher über den Besuch informiert.
Bei seiner kurzen Visite brachte Biden auch eine konkrete Zusage neuer militärischer Hilfen für Kiew mit: Das neue Paket hat nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums einen Umfang von bis zu 460 Millionen US-Dollar (gut 428 Millionen Euro) und umfasst vor allem Raketen für den Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars, Artilleriegeschosse, Mörsergranaten, panzerbrechende Raketen und weitere Munition. Biden stellte ausserdem weitere Sanktionen gegen Russland in Aussicht.
Spektakuläre Anreise nach Kiews
Biden war Angaben mitreisender Journalisten zufolge in den frühen Morgenstunden am Sonntag (Ortszeit) vom Luftwaffenstützpunkt Andrews in der Nähe der Hauptstadt Washington aufgebrochen. Er sei nicht im üblichen Flugzeug des US-Präsidenten – einer umgebauten Boeing 747 – gereist, sondern in einer kleineren Maschine, die bis zum Abflug in Dunkelheit neben dem Rollfeld gestanden habe. Auf dem Weg nach Polen sei der Flieger auf dem US-Luftwaffenstützpunkt im deutschen Ramstein zwischengelandet. Das Ziel sei die polnische Stadt Rzeszów in der Nähe der polnisch-ukrainischen Grenze gewesen.
Von dort sei Biden zum Hauptbahnhof der rund 90 Kilometer entfernten Stadt Przemyśl gebracht worden, wo ein nicht gekennzeichneter Zug gewartet habe. Unbestätigten Angaben zufolge soll der Zug gegen 22 Uhr (Ortszeit) die Grenze in die Ukraine überquert haben. Auf der rund zehnstündigen Fahrt habe der Zug mehrmals meist kurz gehalten, hiess es.
Gegen acht Uhr am Montagmorgen sei der Zug mit dem US-Präsidenten dann am Hauptbahnhof in Kiew angekommen. «Es ist gut, wieder in Kiew zu sein», soll Biden nach dem Aussteigen als erstes gesagt haben.
Zweiter Polen-Besuch innerhalb eines Jahres
Anders als den Besuch in Kiew hatte das Weisse Haus den Trip nach Warschau länger im Voraus angekündigt. Biden hatte Polen zuletzt Ende März 2022 besucht, rund einen Monat nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Schon damals hatte Biden vor historischer Kulisse am Warschauer Königsschloss eine viel beachtete Rede gehalten, in der er der Ukraine Beistand versicherte und Kremlchef Putin scharf angriff.
Für viel Wirbel sorgte in jener Rede eine Aussage zu Putin, die das Weisse Haus später relativierte: «Um Gottes willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben», sagte Biden damals. Die US-Regierungszentrale stellte später klar, der Präsident habe damit nicht zum Sturz Putins aufgerufen.
Für seine Rede in Warschau hat Biden mit dem Königsschloss wieder einen besonderen historischen Ort gewählt: Das Schloss gilt als Symbol der im Zweiten Weltkrieg einst von Nazi-Deutschland grossteils zerstörten und später wiederaufgebauten Stadt.
Aus Sicht der Führung in Warschau unterstreicht Bidens Besuch die strategische Bedeutung Polens. Das EU- und Nato-Land hat eine mehr als 500 Kilometer lange Grenze zur Ukraine. Polen nahm nicht nur gut 1,5 Millionen Kriegsflüchtlinge von dort auf, sondern preschte in den vergangenen Monaten immer wieder mit Initiativen zur militärischen Unterstützung für Kiew vor. Polen erhofft sich von Biden Dank dafür, aber auch konkrete Zusagen für weitere militärische Unterstützung. «Wir erwarten in der Tat eine ständige Präsenz von Truppen unserer Verbündeten, einschliesslich der USA, auf polnischem Boden, um eine wirksame Abschreckung zu gewährleisten», betonte kürzlich Aussenminister Zbigniew Rau.
Eine diplomatische Offensive zum Jahrestag
Am Mittwoch will Biden in Warschau mit Vertretern weiterer osteuropäischer Nato-Staaten zusammenkommen – im sogenannten «Bukarest 9»-Format. Zu der Gruppe gehören neben Polen noch Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Tschechien, die Slowakei sowie die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen; also die Staaten entlang der Nato-Ostflanke.
Der Trip in die Ukraine und nach Polen reiht sich ein in eine ganze Serie aussenpolitischer Gespräche der USA rund um den Jahrestag des Kriegsbeginns. Aus dem Weissen Haus hiess es, in den kommenden Tagen plane Biden diverse Telefonate mit Partnern wie den Regierungschefs von Frankreich, Grossbritannien und Italien. Am 3. März empfängt Biden ausserdem Bundeskanzler Olaf Scholz im Weissen Haus in Washington.
(sda/mth)