In den nächsten Monaten wird der Ständerat entscheiden müssen, ob er dem Nationalrat folgen will und auf den Vorschlag des Bundesrates eintritt, die Individualbesteuerung einzuführen. Diese vom Zivilstand unabhängige Besteuerung soll verhindern, dass Ehepaare in gewissen Konstellationen im Vergleich zu Konkubinaten stärker besteuert werden. Auch erhofft sich der Nationalrat dadurch «positive Anreize» auf die Erwerbstätigkeit insbesondere von Frauen. 

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Was in der bisherigen Diskussion wenig beachtet wurde: Die vorgeschlagene Individualbesteuerung hat eine deutliche Mehrbelastung von Ehepaaren mit nur einem Einkommen zur Folge. Beträgt das von einem Partner erzielte steuerbare Gesamteinkommen 90’000 Franken, steigt die Belastung durch die direkte Bundessteuer von 1138 auf 1692 Franken, was einer Zunahme von 48 Prozent entspricht. Ähnlich sieht das Bild bei einem Einzeleinkommen von 150’000 Franken aus: Die Belastung durch die Bundessteuer steigt dann von 4879 auf 6987 Franken an. Von der Reform profitieren würden hingegen verheiratete Paare mit zwei hohen Einkommen. Sie würden deutlich entlastet.

Der Gastautor

Serge Gaillard ist Ökonom und ehemaliger Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung.

Die Individualbesteuerung schafft damit eine schwer zu rechtfertigende Ungleichbehandlung von Einverdiener-Ehepaaren auf der einen Seite und Zweiverdiener-Ehepaaren auf der anderen. Nehmen wir wieder die gleichen Gesamteinkommen von 90’000 beziehungsweise 150’000 Franken als Beispiele: Im ersten Fall erzielen die Ehegatten je ein steuerbares Einkommen von 45’000 Franken. Sie müssen nach Einführung der Individualbesteuerung 356 Franken Bundessteuern bezahlen, je 178 Franken. Verdient jedoch ein Ehegatte 90’000 Franken und der andere nichts, beträgt der gemeinsame Steuerbetrag 1692 Franken. Bei gleichem Haushaltseinkommen bezahlen traditionell lebende Ehepaare also einen fast fünfmal so hohen Steuerbetrag. Ähnlich grosse Unterschiede ergeben sich bei einem steuerbaren Einkommen von 150’000 Franken. Im Fall von einem gleichmässig aufgeteilten Einkommen müssen insgesamt 1805 Franken bezahlt werden, bei einem einseitig verteilten Einkommen 6’987 Franken – mehr als das Dreieinhalbfache. 

Solange die Familie wie auch in anderen Rechtsgebieten als wirtschaftliche Einheit betrachtet wird, widerspricht diese Ungleichbehandlung dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Bei gleichem Haushaltseinkommen sollte die Besteuerung eines Paares ähnlich hoch sein. Zwar ist eine gleichmässigere Aufteilung der Erwerbstätigkeit auf die Ehegatten ein begrüssenswertes Ziel. Dieses kann aber eine derart grosse Ungleichbehandlung im Steuerrecht nicht rechtfertigen. Abgesehen davon werden die Auswirkungen der Individualbesteuerung auf die Erwerbstätigkeit gemäss den vorliegenden Studien ohnehin gering sein. Andere Bereiche wie die ausserfamiliäre Kinderbetreuung und eine kindgerechte Arbeitsorganisation dürften einen grösseren Einfluss auf die Erwerbstätigkeit haben als die Einführung der Individualbesteuerung. Auch die sogenannte Heiratsstrafe kann einfacher beseitigt werden als durch die vom Nationalrat verabschiedete Vorlage. Das haben die meisten Kantone bereits bewiesen.