Derart heftig patzt der Präsidenten höchst selten. Mit dem Fettnäpfchen hätte Obama kaum ein heikleres Thema treffen können. «Wir haben in den vergangenen 27 Monaten 4,3 Millionen neue Jobs geschaffen», gab Barack Obama kürzlich zu Protokoll, um noch ungeschickt hinzuzufügen: «Der Privatwirtschaft geht's prima».

Ein Sturm der Entrüstung brach los angesichts von mehr als acht Prozent Arbeitslosigkeit, Rivale Mitt Romney rieb sich die Hände. «Die Wirtschaft ist Obamas wundester Punkt im Kampf um seine Wiederwahl, und dieser Kommentar half dem Präsidenten eher weniger», ätzte die einflussreiche, Obama eigentlich zugetane Online-Zeitung «Huffington Post».

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Kein anderes Thema treibt die Amerikaner mehr um, nichts lastet schwerer auf der Seele der Nation als der Zustand der grössten Volkswirtschaft der Welt seit die US-Immobilienblase vor rund fünf Jahren mit einem lauten Knall zerbarst und die ganze Welt ins Trudeln brachte. Umfragen sehen es ganz vorne, heisse Polit-Eisen der Vergangenheit wie Terrorismus oder Schwulenehe sind weit abgeschlagen.

Der inzwischen 20 Jahre alte Spruch von Clinton-Berater James Carville «It's the economy, stupid» - «Um die Wirtschaft geht's, Dummkopf» - könnte kaum aktueller sein. «Wird Obama wiedergewählt? Nun, das hängt vor allem vom Zustand der Wirtschaft ab», meinte schon im Januar die «New York Times».

Trübes Bild

Und um die ist es hundert Tage vor der Wahl nicht zum besten bestellt. Die Arbeitslosenquote verharrt hartnäckig über acht Prozent, selbst Ende 2014 erwartet die US-Notenbank sie immer noch oberhalb von sieben Prozent, noch nie gab es im Verhältnis gesehen so viele Langzeitarbeitslose.

Im Juni schrammten 70 Prozent der Detailhändler an ihren Umsatzzielen vorbei. Zwar endete die Rezession offiziell schon im Sommer 2009, aber mehr als ein blutarmes Wachstum von zwei Prozent erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF) in seiner jüngsten Schätzung 2012 nicht.

Immerhin: Die katastrophale Verschuldung der Privathaushalte ist in Folge der Krise von 134 Prozent des Einkommens auf ein Neun-Jahres-Tief von 114 Prozent gesunken. Kehrseite der Medaille ist aber die merklich gedämpfte Kauflaune der Amerikaner - keine gute Sache, wenn die Wirtschaft zu 70 Prozent vom Privatkonsum abhängt. Jüngste, deutliche Erfolge bei den US-Ausfuhren sind mittlerweile wieder vom starken Dollar bedroht.

Wenn Obama und Romney auf Stimmenfang durch die Lande touren, könnten ihre Visionen für den künftigen Wirtschaftskurs nicht unterschiedlicher sein. Und manchmal, notierte die «New York Times» aufmerksam schon im Juni, klinge der Präsident durchaus, «als kämpfe er um sein politisches Überleben».

Der Amtsinhaber preist sich dann als Anwalt der gebeutelten US-Mittelschicht an, unterstreicht, wie die Politik der Bush-Ära mit Steuergeschenken für die Reichen, Deregulierung und sündhaft teuren Kriegen der Misere den Boden bereiteten. Ein Sieg der Republikaner im November bedeute «eine Rückkehr zu der These, dass die Wirtschaft am besten von oben nach unten wächst».

Obama als Anwalt der Mittelschicht

Obama müsste eigentlich den Nerv treffen: Nicht nur, dass die US-Wirtschaft seit Jahren ohnehin nur schleppend wächst. Was dazu kommt, fliesst grösstenteils in die Taschen der Reichen.

Inflationsbereinigt erreichte das mittlere Jahreseinkommen einer Mittelschichtfamilie 2000 mit 64'232 Dollar den höchsten Wert - seitdem ist es um sechs Prozent gefallen, rechnete die «New York Times» aus. Vor 40 Jahren steckte das eine Prozent der Amerikaner mit den höchsten Einkommen weniger als 10 Prozent aller Gehälter ein. Inzwischen sind es satte 20 Prozent.

Romney, durch Beteiligungsgeschäfte zum Milliardär geworden, hält dagegen, Obamas Initiativen bei Gesundheitsreform, Regulierung des Finanzsektors und in der Energiewirtschaft würgten das Wachstum ab. «Er macht es dem freien Unternehmertum schwer», ruft er seinen Anhängen zu.

«Ich will Amerika wieder zum weltweit attraktivsten Ort für die Schöpfer von Arbeitsplätzen machen» - der Lieblingsbezeichnung der Republikaner für Unternehmer.

Die statistikverrückten Amerikaner richten bei ihren Prognosen für die Wahl am 6. November den Blick in die Vergangenheit. Die höchste Arbeitslosenquote, bei der je ein Präsident die Wiederwahl gewann, betrug 7,2 Prozent. Das gelang Ronald Reagan 1984. So gesehen sieht es derzeit nicht besonders gut aus für den Mann im Weissen Haus.

(laf/aho/sda)