Der jährliche «Massenmord an Millionen Menschen durch Hunger auf einem Planeten, der von Reichtum überquillt», bleibt für Jean Ziegler der eigentliche Skandal unserer Zeit. In seinem Buch «Der schmale Grat der Hoffnung» plädiert er für eine menschlichere Welt, die mit Hilfe der UNO, der «sanften Gewalt der Vernunft», erreicht werden soll.

Seit vielen Jahren, zunächst als UNO-Sonderberichterstatter und derzeit als Vize-Präsident des 18-köpfigen Beratenden Ausschusses des UNO-Menschenrechtsrats, kämpft Jean Ziegler gegen die Geissel des Hungers, für die Einhaltung der Menschenrechte und für Frieden.

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Demokratische Fassaden

In seinem neuen Buch, das diesen Frühling auf Deutsch erschienen ist, gibt er einen lebendigen Einblick in das Geschehen an der UNO, einschliesslich der Machenschaften hinter den demokratischen Fassaden. Den Auftakt bildet der «Besuch der Scheicha» im Herbst 2015 im Palais des Nations, die Scheicha Mozah Bint Nasser Al-Missned, Mutter des derzeitigen Herrschers von Katar.

Sie war vom damaligen UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon beauftragt, am europäischen UNO-Sitz die «Agenda 2030», die Entwicklungsziele der UNO, zu präsentieren - Katar zahlte offenbar für den Auftritt.

Genf ist klein und eignet sich daher für diskrete Gespräche. Ein Brennpunkt informeller Verhandlungen ist etwa die Bar du Serpent im Palais des Nations, mit Blick auf den Park, in dem Pfauen herumspazieren.

Imperiale Strategie

Ziegler ist ein Verfechter der multilateralen Diplomatie, die der Aufklärung ihre Grundprinzipien verdankt. Er stellt dieser Diplomatie die imperiale Strategie gegenüber, die etwa der umstrittene frühere US-Aussenminister Henry Kissinger vertritt. Demnach besitzt einzig eine globale Macht die Mittel und Fähigkeit, in Krisenzeiten überall einzugreifen. Sie allein, so Kissinger, vermag den Frieden zu erzwingen.

Ziegler kritisiert die «kannibalische» Weltordnung - prägnante Begriffe gehören zu seinem Stil. Allein 2016 seien auf den Schlachtfeldern von Hunger, Epidemien und den fatalen Folgen des Klimawandels 54 Millionen Menschen gefallen. Der Zweite Weltkrieg habe in sechs Jahren insgesamt 57 Millionen Opfer gefordert. Ziegler kommt daher zum Schluss, der Dritte Weltkrieg gegen die Völker der Dritten Welt habe längst begonnen.

Einen spannenden Abriss liefert er zur Gründung der UNO. Dabei erinnert er etwa daran, dass sich der britische Premierminister Winston Churchill im Gegensatz zu US-Präsident Franklin D. Roosevelt für das Vetorecht der Siegermächte im Sicherheitsrat einsetzte, als Notbremse. Denn er hatte miterlebt, wie Hitler nach demokratischen Regeln an die Macht kam. Roosevelt war dagegen von der unantastbaren Souveränität jedes Staates überzeugt.

Ohnmacht der UNO

Heute ist das Vetorecht jedoch der Grund für die Ohnmacht der UNO, die nur in einen Krieg eingreifen und den Frieden wieder herstellen kann, wenn die fünf ständigen Mitgliedstaaten sich dafür entscheiden. Aber Russland legt sein Veto gegen Resolutionen zu Syrien ein, die USA zu Israel und China zu Sudan. Der Vorschlag des früheren UNO-Generalsekretärs Kofi Annan, das Vetorecht bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufzuheben, ist derzeit allerdings wieder auf dem Tisch.

Zu den künftigen Kämpfen zählt Ziegler etwa die Abschaffung von Offshore- oder Briefkastenfirmen, derer sich vor allem Steuerbetrüger bedienen. Die weltweite Steuerhinterziehung ist aber laut Ziegler in erheblichem Mass schuld am Elend der Welt.

Mit diesen Unternehmen befasst sich bereits die Organisation UNO-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), unterstützt durch die OECD. Für die Vorbereitung einer Resolution über das Verbot von Offshore-Firmen hat der Menschenrechtsrat seinen Beratenden Ausschuss um einen Bericht über die «Nicht-Rückführung von illegal erworbenen Mitteln» gebeten.

Mitschuld der Schweiz

«Raubgeld aus der ganzen Welt strömt weiterhin unkontrolliert und in Milliardenhöhe in die Ali-Baba-Keller der Schweizer Grossbanken», sagte Ziegler der Nachrichenagentur sda.

Als Beispiel nannte er Tunesien: «Während 23 Jahren hat Diktator Ben Ali die Staatskasse geplündert. Das Volk stürzte ihn im Januar 2011, der Bundesrat blockierte die tunesischen gestohlenen Gelder in der Schweiz.» Sechs Jahre später seien die Gelder immer noch auf Schweizer Bankkonten. «Die Bankanwälte sabotieren jegliche Rückführung. Und das tunesische Volk lebt weiterhin im Elend.»

(sda/gku)