Für dem demokratischen Präsidenten Joe Biden geht es bei den Kongresswahlen an diesem Dienstag um nichts Geringeres als die Frage, wie effektiv er in den kommenden zwei Jahren seine Agenda durchsetzen kann. Verlieren seine Demokraten die Kontrolle über auch nur eine der beiden Parlamentskammern, können die Republikaner ihm das Regieren erheblich erschweren.
Die Partei von Bidens Vorgänger Donald Trump könnte dann Gesetzesvorhaben blockieren und die Regierung mit einer Flut von Untersuchungsausschüssen ausbremsen – wie begründet oder unbegründet sie auch immer sein mögen. Das dürfte den Graben zwischen den Parteien, der sich auch durch die tief gespaltene Gesellschaft zieht, noch weiter aufreissen.
Musk mischt sich ein
Nun schaltet sich auch der neue Twitter-Besitzer Elon Musk kurz vor dem Urnengang in die US-Kongresswahl ein und empfiehlt ein Votum für die republikanischen Kandidaten. «An unabhängig denkende Wähler: Geteilte Macht zügelt die schlimmsten Auswüchse beider Parteien», schrieb der als reichster Mann der Welt geltende Tesla-Chef am Montag auf dem Kurznachrichtendienst.
«Daher empfehle ich, für einen republikanischen Kongress zu stimmen, da die Präsidentschaft demokratisch ist.» Musk hat bereits früher gesagt, dass er für die Republikaner stimmen würde – aber zugleich betont, dass er die gemässigten Kandidaten auf beiden Seiten unterstütze.
Partei an der Macht verliert im Repräsentantenhaus
Alle zwei Jahre stehen die 435 Sitze im Repräsentantenhaus zur Wahl. Es ist praktisch ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Partei, die an der Macht ist, bei den Wahlen zur Hälfte der vierjährigen Amtszeit des Präsidenten Federn lassen muss. So erging es den Republikanern 2006 unter dem damaligen Präsidenten George W. Bush und 2010 den Demokraten unter Barack Obama. Als bei den Midterms 2018 Trump Präsident war, büssten wiederum die Republikaner 41 Sitze im Repräsentantenhaus ein. In allen drei Fällen wechselte die Kontrolle über die Abgeordnetenkammer von einer Partei zur anderen.
Dieses Jahr müssen die Republikaner unterm Strich nur fünf Mandate hinzugewinnen, um die Kammer zu erobern. Dass ihnen dies gelingt, ist Umfragen zufolge sehr wahrscheinlich. Insgesamt gelten 53 Abgeordnetenmandate als besonders hart umkämpft.
Wechsel im Senat?
Im Senat geht es noch knapper zu. Hier verfügen beide Parteien aktuell über je 50 Stimmen. Die Demokraten sind derzeit aber im Vorteil: Gibt es bei Abstimmungen eine Pattsituation, löst Bidens Stellvertreterin Kamala Harris diese auf, da sie als Vizepräsidentin zugleich Senatsvorsitzende ist.
Gewinnen die Republikaner am Dienstag jedoch nur einen Sitz hinzu, übernehmen sie die Mehrheit. Ihre Chancen dafür stehen laut Umfragen nicht schlecht, ausgemacht ist ein Machtwechsel in dieser Kongresskammer aber nicht. Wechselwähler könnten dabei den Ausschlag geben. «Hardcore-Demokraten oder Republikaner wählen niemals die andere Seite, also entscheiden unabhängige Wähler tatsächlich, wer das Sagen hat!», schrieb Musk dazu.
Der Fokus wird auf Abstimmungen in Arizona, Nevada, Pennsylvania und Georgia liegen. Der Ausgang in den vier Bundesstaaten gilt als völlig offen. Insgesamt geht es am Dienstag um gut ein Drittel der 100 Senatssitze.Umfragen deuten darauf hin, dass die Republikaner sehr gute Chancen haben, die Mehrheit des Repräsentantenhauses zu gewinnen. Die Kontrolle über den Senat dürfte umkämpfter sein. Die Rolle Bidens und Trumps
Die Midterms sind oft ein Referendum über den Präsidenten, auch wenn dieser selbst nicht zur Wahl steht. Laut der jüngsten Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters und des Meinungsforschungsinstituts Ipsos sind derzeit gerade einmal 40 Prozent der Amerikaner mit Bidens Arbeit zufrieden. 69 Prozent denken, dass das Land auf dem falschen Kurs ist, nur 18 Prozent sind vom Gegenteil überzeugt. Viele Kandidaten der Demokraten müssen befürchten, dass sie stellvertretend für den Präsidenten abgestraft werden.
Auch Trumps Name steht nicht auf den Wahlzetteln. Dennoch ist er omnipräsent im Wahlkampf. Er hat eine ganze Reihe von Bewerbern in Stellung gebracht, die seinen Kurs vertreten und die er quasi als Statthalter in den Kongress bringen will. Sein Einfluss bei den Republikanern ist auch zwei Jahre nach seiner Niederlage gegen Biden 2020 immens, bei vielen Beobachtern gilt er als De-Facto-Anführer der Partei.
Längst wird erwartet, dass Trump 2024 einen neuen Anlauf auf das Weisse Haus nimmt. Er selbst befeuert solche Spekulationen regelmässig. Doch auch seine Beliebtheitswerte sind insgesamt nicht viel besser als die Bidens.
Was den Demokraten in die Karten spielt
Die Demokraten profitierten zuletzt unter anderem von einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, mit der das seit Jahrzehnten geltende bundesweite Recht auf Abtreibungen gekippt wurde. Die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen unterliegt nun den Bundesstaaten. Der Protest gegen diese Entscheidung hat die Anhängerschaft der Demokraten mobilisiert, die für eine Beibehaltung der alten Regelung waren. Die Zahl der Frauen, die sich in die Wahlregister eintrugen, schoss landesweit hoch.
Die Demokraten hoffen zudem darauf, dass ihnen das Gebaren Trumps einmal mehr in die Karten spielt und potenzielle Wechselwähler abschreckt, republikanisch zu wählen. Der Ex-Präsident hat mit einer ganzen Reihe von juristischen Problemen zu kämpfen. Dazu zählen die Entwendung von Geheimdokumenten aus dem Weissen Haus und seine Rolle beim Leugnen der Wahlergebnisse von 2020 sowie dem Sturm seiner Anhänger auf das Kapitol im Januar 2021.
Wirtschaftsängste sind Trumpf der Republikaner
Umfragen zeigen jedoch, dass etwa die Wut über die Abtreibungsentscheidung des Supreme Court nicht reichen wird, um die Demokraten zu retten. Denn auch den Wählern und Wählerinnen in den USA brennt vor allem ein Thema auf den Nägeln: die enorme Inflation und die damit einhergehende Angst vor einem wirtschaftlichen Absturz und Arbeitslosigkeit.
Wie so oft bei Wahlen in den USA stehen die Sorgen über die Wirtschaft in der Liste der Themen, die die Amerikaner bewegen, ganz oben – und zwar mit deutlichem Abstand etwa vor Verbrechen, Einwanderung, Abtreibung und Klima. Entsprechend haben die Republikaner landauf und landab diese Ängste in den vergangenen Wochen verstärkt aufgegriffen und ins Zentrum ihres Wahlkampfs gerückt.
(reuters/mth)