Die rasch fallende Inflation und die Aussicht auf sehr tiefe Teuerungsraten haben die Diskussion um Negativzinsen wiederbelebt. Zwar liegt der Leitzins in der Schweiz noch bei 1 Prozent, eine weitere Senkung dürfte diese Woche verkündet werden. Und die Eidgenossenschaft kann sich bereits zu Zinsen von weniger als 0,3 Prozent verschulden. Droht der Schweiz ein Rückfall in das letzte Jahrzehnt, mit Deflation und Negativzinsen?
Vermutlich nicht. Weil die Nationalbank das nicht zulassen wird.
Hauptgrund für die mehrmaligen deflationären Perioden in den Jahren 2011 bis 2018 war die übermässige Aufwertung des Frankens. In den Jahren 2010 und 2011 hatte sich der Franken handelsgewichtet und bereinigt um die unterschiedlichen Teuerungsraten um bis zu 20 Prozent aufgewertet. Diese Aufwertung hatte die Wirtschaft und damit auch die Löhne einem enormen Druck ausgesetzt. Die Nationalbank hatte damals zunächst zögerlich reagiert und konnte dann die Aufwertung erst mit der Einführung eines Mindestkurses brechen.
Ein zweiter Aufwertungsschub erfolgte 2015 nach der Aufhebung der Untergrenze, zum Glück war dieser aber nur vorübergehend. Die Folgen eines zu hoch bewerteten Frankens sind bekannt: Deflation, ungewöhnlich tiefe Zinsen, überhöhte Immobilienpreise und kaum Wachstum der Industrie und generell der Branchen, die der internationalen Konkurrenz ausgesetzt sind.
Der Gastautor
Serge Gaillard ist Ökonom und ehemaliger Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung.
Die heutige Nationalbankführung ist auf solche Probleme gut vorbereitet. Sie weiss, wie man eine Überbewertung des Frankens verhindert. Und sie betont immer wieder, dass sie gewillt sei, bei Bedarf zusätzlich zur Zinspolitik auf den Devisenmärkten zu intervenieren, um eine Überbewertung des Frankens zu verhindern. Sie ist auch nicht für eine zögerliche Politik bekannt: Als erste bedeutende Zentralbank hat sie im März dieses Jahres mit den Zinssenkungen begonnen.
2019 war Jerome Powell, der Präsident der Federal Reserve (Fed), Gast an der Universität Zürich. Er erläuterte unter anderem, wieso die Fed die Teuerung nicht zu weit unter 2 Prozent fallen lassen wolle. So könne das Risiko minimiert werden, dass die Zinsen an die Nullgrenze stossen und die Notenbanken auf unkonventionelle Instrumente zurückgreifen müssten. Mit anderen Worten und auf die Schweiz bezogen: Negativzinsen müssen diejenigen einführen, die zu spät auf eine Überbewertung oder eine zu tiefe Inflation reagieren. Wohl deshalb hat Thomas Jordan in seinem Abschiedsinterview mit der NZZ betont: «Hohe Zinsen aufrechtzuerhalten, um in einer zukünftigen Krise mehr zinspolitischen Spielraum zu haben, ist falsch. Wenn die Geldpolitik nicht rechtzeitig angepasst wird, (…), sinkt die Inflation schneller auf ein sehr tiefes oder sogar negatives Niveau.» Und die SNB müsste ihre Politik später noch «viel stärker lockern».
Der neue Präsident der SNB, Martin Schlegel, hat sich an einer Veranstaltung an der Universität Zürich auch zu möglichen Negativzinsen geäussert. Man werde bereit sein, diese einzusetzen, wenn es sich als nötig erweisen würde. Es habe sich gezeigt, dass diese funktionieren und dazu beitragen, den Franken weniger attraktiv zu machen. Ein Präsident der SNB, der sich nicht scheut, die vorhandenen Instrumente gegen eine zu starke Überbewertung des Frankens einzusetzen, ist die beste Garantie dafür, dass er die Negativzinsen nicht einführen müssen wird. Auch das hat der SNB-Präsident gemäss NZZ gesagt: «Niemand mag Negativzinsen, auch nicht die Nationalbank».