Langfristig bestimmen nur unsere Produktivität und unsere geleistete Arbeitszeit unseren materiellen Wohlstand. Alles, was wir davon für die Bewältigung von Zukunftsausgaben brauchen und an diejenigen verteilen wollen, denen wir Solidarität schulden, kommt aus diesem Topf. Arbeiten wir weniger, gibt es weniger zu verteilen. Es sei denn, unsere Produktivität steigt schneller, als wir weniger arbeiten. So einfach ist das.
Tatsache ist, dass wir in den letzten fünf Jahren unsere Arbeitszeit pro Arbeitskraft reduziert haben. Tatsache ist auch, dass die Wertschöpfung pro Arbeitsstelle in der Schweizer Wirtschaft seit Jahren stagniert, unter Ausklammerung der beschäftigungsschwachen Pharmaindustrie sogar rückläufig ist. Und Tatsache ist ebenfalls, dass in den kommenden Jahren die Baby-Boomer in Pension gehen.
Der Gastautor
Der Ökonom Klaus Wellershoff ist Gründer und Verwaltungsratspräsident von Wellershoff & Partners, Honorarprofessor an der Universität St. Gallen und regelmässiger Kolumnist der «Handelszeitung».
Wie wir das zu kompensieren versuchen? Über Zuwanderung! Damit gleichen wir das tiefere Arbeitsangebot aus. Die 10-Millionen-Schweiz verhindert aber nicht, dass wenn wir weniger arbeiten und unsere Produktivität fällt, unser Lebensstandard sinkt.
Er wird sogar noch mehr sinken, weil wir für die Zukunftsausgaben mehr Geld benötigen. Der Klimawandel kostet Geld, und sei es nur für die Abschwächung seiner Folgen. Die Stromversorgung ist in einer zunehmend elektrifizierten Welt nicht gesichert. Bei wachsender Bevölkerung müssen wir in Infrastruktur und Schulen investieren. Landesverteidigung gibt es in Zeiten von Putin und Xi Jinping nicht mehr für Null-Komma-Irgendwas vom Volkseinkommen.
Warum das unseren Lebensstandard bedroht? Weil wir das als Gesellschaft bezahlen müssen. Das Märchen, dass die Reichen das für uns bezahlen können, ist grober Unfug. Die Herausforderungen sind schlicht zu gross. Weniger Netto vom Brutto ist die Folge. Unsere Mittelschicht wird ärmer, so wie bei unseren Nachbarn. Mit tieferem Netto sinken die Anreize, zu arbeiten, weiter.
Weniger arbeiten werden wir niemandem verbieten können und auch nicht wollen. Was bleibt? Wir müssen unsere Produktivität wieder steigern. Produktivität ist nichts anderes als Wertschöpfung für Kundinnen und Kunden pro Zeiteinheit. Bürokratie, Vorschriften und Kontrollen schaffen aber keine Werte, sie vernichten sie.
Messen Sie die politischen Kandidatinnen und Kandidaten also an der Frage: «Was hast du für die Steigerung unserer Produktivität getan?» Kuchen muss erst gebacken werden, bevor man ihn verteilen kann. Alles andere ist schlicht verantwortungslos.
1 Kommentar
"«Via negativa» ist die Lehre von dem, was man nicht tun sollte. Im Leben bedeutet das, folgende Dinge zu vermeiden: Sucht, Ablenkung, schlechte Angewohnheiten, schädliche Beziehungen, Eifersucht, Langeweile, Zucker, industriell verarbeitete Lebensmittel und Anwälte.
Analog verhält es sich beim Investieren. Hier geht es in der Regel darum, sich von der breiten Masse, vom Einsatz von Fremdmitteln und von Unternehmen fernzuhalten, die schwer zu verstehen oder zu stark vom Staat abhängig sind."
Kevin Duffy
26.06.2023, 00.25 Uhr