Nichts mit einem Umschwung in letzter Minute. Die Zustimmung zur Initiative für eine 13. AHV-Rente ist deutlich. Nicht nur eine klare Mehrheit der Bevölkerung hat sie angenommen, auch die Mehrheit der Stände. Das zeigen die Hochrechnungen schon kurz nach der Schliessung der Wahllokale. Ohne Kenntnis des Sonderfalls Schweiz ist das Ergebnis wenig überraschend. Immerhin profitiert die Mehrheit der Abstimmenden – die ältere Bevölkerung – unmittelbar finanziell von der höheren Rente, unabhängig von der eigenen Einkommens- und Vermögenslage. Für das System Schweiz stellt das Ergebnis aber einen gefährlichen Präzedenzfall dar.
«Dass die naheliegende Lösung ebenfalls deutlich verworfen wurde, zeugt davon, dass einer Mehrheit das Verantwortungsgefühl fürs Ganze abhandenkommt.»
In der Regel konnte man sich hierzulande darauf verlassen, dass bei Abstimmungen die Bevölkerung das Gesamtinteresse des Landes im Auge behält. Das Resultat beider AHV-Abstimmungen zeugt nicht mehr davon.
Nach mir die Sintflut
Die Initiative hat kein Wort darüber verloren, wie die zusätzlichen Renten finanziert werden sollen. Das Hauptargument der Befürwortenden war, dass bisher das Geld ja auch stets vorhanden war. Hochrechnungen gehen dagegen von massiven zusätzlichen Kosten für die AHV aus.
Natürlich kann man konkrete Hochrechnungen immer infrage stellen. Dass aber die Kosten der Altersversorgung stark steigen und mit der Initiative noch mehr, ist unbestreitbar, weil immer weniger Aktive für die Leistungen von immer mehr Pensionierten aufkommen müssen, die auch immer länger leben. Dass die naheliegende Lösung – ein späteres Rentenalter – ebenfalls deutlich verworfen wurde, zeugt ebenfalls davon, dass einer Mehrheit der Abstimmenden das Verantwortungsgefühl fürs Ganze abhandenkommt.
«Das abhanden gekommene Gesamtinteresse ist das wahre Risiko. »
Die höheren Kosten werden die Jüngeren über höhere Lohnabzüge zu tragen haben und wohl auch die Allgemeinheit über höhere Mehrwert- und andere Steuern. Denn auch die Bundeskasse trägt einen Fünftel der Kosten für die AHV. Da der Bund schon jetzt seine Aufgaben kaum mehr bezahlen kann und strukturelle Defizite schreibt, ist schwer vorstellbar, wie er zu den nötigen zusätzlichen Einnahmen auf andere Weise kommt, wenn er nicht andere Ausgaben zusammenstreicht. Weitere Verteilkämpfe sind damit vorgezeichnet.
Die Folgen des Verlusts an Gesamtverantwortung
Das grösste Risiko des Abstimmungssonntags sind nicht die wachsenden und ungedeckten Ausgaben. Dafür wie für viele andere anstehende Herausforderungen sind Lösungen möglich, wenn sich Mehrheiten zusammenfinden, die das Gesamtinteresse im Auge behalten und dafür notwendigerweise auch Kompromisse eingehen.
«Wenn sich andere nicht mehr um das Gesamtinteresse scheren, warum dann selbst Verzicht üben, so die gefährliche Logik.»
Das abhanden gekommene Gesamtinteresse ist deshalb das wahre Risiko. Das Resultat der Abstimmung ist bisher ein Höhepunkt dieser beunruhigenden Entwicklung. Im Abstimmungskampf war von den Befürwortern auch im bürgerlichen Lager immer wieder das Argument zu hören, wenn für alles andere Geld bezahlt werde, dann sei es jetzt nur angebracht, ebenfalls zuzugreifen. Wenn sich andere nicht mehr um das Gesamtinteresse scheren, warum dann selbst Verzicht üben, so die gefährliche Logik.
Es mag gute Gründe für die Kritik an Fehlentwicklungen bei den Ausgaben und anderen Politikbereichen geben. Aber verantwortungsvoll wäre, bei dieser Fehlentwicklung anzusetzen, statt sie durch weitere zu ergänzen. Wenn sich diese Verantwortungslosigkeit weiter ausbreitet, werden Lösungen für anstehende und wachsende Herausforderungen auch über die Altersvorsorge hinaus immer schwieriger zu erreichen sein. Ein Eintreten für das Ganze wird gegenüber egoistischen Gruppeninteressen immer weniger Chancen haben. Das führt letztlich zum Untergang des bisher überaus erfolgreichen Sondermodells Schweiz. Wenn jeder nur noch für sich schaut, verlieren am Ende alle.
10 Kommentare
Die Annahme der 13. AHV ist auf das Versagen der Regierung und der Parlamente zurückzuführen. Sie arbeiten nur noch für sich selber und bevorzugen die eigenen Reihen. Das normale Volk bleibt aussen vor. Die Finanzierung darf auch nicht wieder dem einfachen Volk aufgebürdet werden. Zur Erhöhung des Rentenalters läuft die Diskussion in die falsche Richtung. Nicht die Lebenserwartung ist relevant. Wir müssen das ganze endlich gesamtheitlich betrachten. Wir haben eine arbeitende Bevölkerung die das Leben aller in der Schweiz finanziert. Bei den Kindern und Jungen ist es klar, dass die Ausbildung oberste Priorität hat. Auch bei den Personen mit Handicap muss die Gesellschaft seine Verantwortung übernehmen. Aber dann kommt die Frage zum Rest der Bevölkerung: Da haben wir Leute die nicht Arbeiten wollen; die sollen selber schauen. Dann haben wir Leute die arbeiten wollen, aber keine Arbeit finden (leider werden diese in der Arbeitslosenstatistik in der Schweiz nicht vollständig erfasst da wir die Arbeitslosenrate nicht nach internationalem Standard erfassen). Diese sollten als erstes Arbeit erhalten. Und dann sind da noch die Rentner. Die haben ein Leben Lang gearbeitet und ihren Beitrag an die Gesellschaft geleistet. Die Wirtschaft braucht Arbeitskräfte. Diese soll sie hauptsächlich in der Schweiz rekrutieren. Sie ist auch dafür verantwortlich, dass diese bedarfsgerecht ausgebildet werden. Somit sieht doch die Lösung folgendermassen aus: Das Rentenalter sollte am Bedarf an Arbeitskräften Angepasst werden. Als erstes sollen die Arbeitslosen Arbeit finden. Erst in zweiter Priorität sollen dann die Rentner länger arbeiten. Somit muss das Rentenalter flexibel basierend auf der Arbeitslosenrate (diese sollte nach internationalem Standard 3% nicht überschreiten) jedes Jahr neu bestimmt werden. Und dies nach oben und nach unten.
Schade, dass es im Ärger zu diesem so einseitigen Kommentar kam. Wo bleibt die Einsicht, dass es die bürgerliche Mehrheit in den Räten in der Hand gehabt hätte einen vernünftigen Gegenvorschlag zu präsentieren. Ich bin überzeugt, wenn dieser einigermassen zielführend gewesen wäre, wäre er angenommen worden. Dass die bürgerlichen Präsidenten kurz vor der Abstimmung dann eine Lösung versprechen, wirkt leider unglaubwürdig und schwach.
Es gibt noch eine ganz andere Gefahr. Die Linken und Grünen versuchen ja seit mehr als 20 Jahren die AHV zur Vollrente umzubauen. Den über die AHV lässt sich Geld umverteilen, was bei der
2. Säule viel weniger geht. Die Bürgerlichen müssen endlich lernen die falschen Argumente der Linken zu kontern.
So wurde von den Initianten der 13. AHV immer wieder gesagt, wenn X Milliarden für die Rettung der Banken vorhanden sind , dann kann man auch mehr AHV auszahlen. Aber genau dies ist Augenwischerei , denn zur Bankenrettung wurde kein einziger Franken ausgegeben. Die UBS hat innert kürzerster Zeit alle Garantien zurück gegeben. Es ist wie damals bei der
BVG Abstimmung, als die Wirtschaft warnte es könnte für über 60 Jährige schwierig werden noch Arbeit zu finden, wurde dies von den Gewerkschaften als reine Angstmacherei abgetan. Aber heute wissen wir alle, schon nach dem 50. Geburtstag wird es für eine grosse Mehrheit schwierig wieder einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Solche Sachen müssen im Abstimmungskampf immer wieder auf den Tisch bis der Bürger kapiert es gibt den " free lunch " eben doch nicht.
Danke für diesen Kommentar. Trotzdem lässt man Ausagen von Gewerkschaftern und SP Präsidium einfach stehen, die behaupten, dass eine der beiden Bankenrettungen Kosten verursacht hätte. Bei der UBS wurde gar ein Gewinn geschrieben für den Staat.
Als ich den Einleitungstext im HZ-Newsletter las, rieb ich mir tatsächlich zweimal die Augen. Dieser Text hätte gerade so gut in einem Hate-Posting in den sozialen Medien stehen können. Völlig deplatziert. Wenn das so weiter geht, spare ich mir künftig die Abokosten.