Schwerer Rückschlag für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron nur wenige Wochen nach seiner Wiederwahl: Bei der zweiten Runde der Parlamentswahl hat sein Lager am Sonntag die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung klar verloren. Damit wird es für den 44-Jährigen, der sich auch eine stärkere Integration Europas auf die Fahnen geschrieben hat, künftig schwerer, seine Vorhaben umzusetzen. Eine Regierungssprecherin sagte, man werde nun mit allen moderaten Parteien sprechen und wende sich an jene, «die das Land voranbringen wollen».
Hochrechnungen vom späten Abend zufolge kann Macrons Bündnis «Ensemble» zwar mit 247 Sitzen in der neuen Nationalversammlung rechnen und ist damit stärkste Kraft. Zur absoluten Mehrheit wären aber 289 Sitze erforderlich. Bislang kam das Macron-Lager auf 350. Das Links-Bündnis Nupes um Jean-Luc Melenchon kann im neuen Parlament auf 147 Sitze hoffen, die extreme Rechte um Marine Le Pen auf 90 - so viele wie nie zuvor. Die Konservativen könnten auf 68 Abgeordnete kommen und zum Königsmacher werden.
Marine Le Pen will Bündnis von rechten und linken «Patrioten»
Das Ergebnis könnte auch ein politisches Patt bis hin zu Neuwahlen nach sich ziehen. Die für Deutschland übliche Konstellation, dass eine Koalition zur Bildung einer stabilen Regierung ausgehandelt werden muss, hat es in Frankreich seit Jahrzehnten nicht gegeben. Letztmals hatte 1988 ein Präsident die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verfehlt.
Le Pen kündigte am Abend an, sie wolle ein Bündnis von «Patrioten» aus dem rechten und dem linken Lager schmieden. Finanzminister Bruno Le Maire nannte das Ergebnis einen «demokratischen Schock» und erklärte, wenn andere Blöcke nicht kooperieren würden, «würde dies unsere Fähigkeit blockieren, Frankreich zu reformieren und zu schützen».
Streit ums Rentenalter
In Umfragen war bis zuletzt offen gewesen, ob Macrons Bewegung die absolute Mehrheit verteidigen kann. Die Positionen der grossen Parteien gehen in wichtigen Fragen auseinander. So will Macron unter anderem das Rentenalter anheben, seine wirtschaftsfreundliche Agenda weiter verfolgen und die Integration der Europäischen Union vorantreiben.
Melenchon, der Anführer des Linksbündnisses, hat indes damit geworben, das Rentenalter von 62 auf 60 Jahre zu senken, die Preise einzufrieren und Unternehmen die Entlassung von Arbeitnehmern zu verbieten, wenn sie Dividenden zahlen. Macron könnte ein Bündnis mit den Konservativen suchen oder eine Minderheitsregierung bilden, bei der von Fall zu Fall Gesetze mit wechselnden Partnern ausgehandelt werden.
Links-Bündnis aus Sozialisten, Kommunisten und Grünen zu stark
Die Wähler in Frankreich haben in der Vergangenheit nach der Wahl eines Präsidenten die ein paar Wochen später folgenden Parlamentswahlen zumeist genutzt, um dem Präsidenten eine komfortable parlamentarische Mehrheit zu verschaffen. Vor allem das Links-Bündnis aus Sozialisten, Kommunisten und Grünen hatte Macron zuletzt zugesetzt. Die auch durch den Ukraine-Krieg hohe Inflation hat die gestiegenen Lebenshaltungskosten für viele Wähler in den Vordergrund gerückt.
Macron selbst war erst kürzlich für weitere fünf Jahre zum Präsidenten gewählt worden. In der Stichwahl hatte er sich gegen seine euroskeptische Rivalin Le Pen mit rund 59 Prozent der Stimmen durchgesetzt und damit für Aufatmen in weiten Teilen Europas gesorgt.
Kommentar zur Präsidentschaftswahl:
(reuters/gku)
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Die Wähler Frankreichs haben den unmöglichen Versprechungen der extremen Linken und Rechten mehr Glauben geschenkt. Dass man zuerst Geld schaffen muss, bevor es verteilt werden kann, interessiert immer weniger Menschen. Macron hatte auch deshalb Mühe, weil seine Rentenreform unpopulär ist und er abgehoben wirkt im Umfeld globaler Krisen. Es war ein Denkzettel. Doch den Wählern könnte das Lachen bald einmal vergehen, wenn der politische Alltag das wahre Gesicht der Parteien zeigt und Frankreich zum Spielball extremer Kräfte zu werden droht.