Die Kaperung einer Ryanair-Maschine durch das weissrussische Regime sorgt für Wirbel. Was muss ein Unternehmen nun beachten, wenn es mit Staaten wie Weissrussland oder Iran Geschäfte macht?
David Bach: Es gibt möglicherweise rechtlich bindende Sanktionen. Unternehmen, die diese missachten, können sich strafbar machen. Zum Beispiel, wenn es um Handel oder Geldverkehr mit Nordkorea oder Iran geht. Viele Unternehmen haben für solche Fälle Compliance Teams, die genau hinsehen. Denn es geht nicht nur um einzelne Länder, sondern auch um Unternehmen oder Geschäftsleute, die auf Sanktionslisten stehen.
David Bach ist Professor für Strategie und Politische Ökonomie an der Management-Schule IMD und dort auch Dean of Innovation and Programs.
Welcher Rechtsraum ist massgeblich?
Um Sanktionsumgehungen zu verhindern, haben vor allem die USA in den letzten Jahren auf sogenannte Secondary Sanctions gesetzt. Das heisst, selbst wenn es keine europäischen Sanktionen gegen einen bestimmten Staat oder einzelne Personen gibt, kann ein europäisches Unternehmen, das mit einem solchen Staat oder Personen Geschäfte macht, in den USA Probleme bekommen. Das hat den Arm der amerikanischen Justiz sehr lang gemacht und viele Unternehmen müssen sich entscheiden, ob ihnen der amerikanische Markt wichtiger ist oder jener des Sudan.
Wie kann sich ein Unternehmen gegen Risiken wie das Kapern einer Maschine oder Reputationsgefahren an einem Firmenstandort in dem Zielland absichern? Verstösse gegen die Moral werden wohl kaum versichert.
Man kann die Verpflichtung, Menschenrechte einzuhalten, in die Verträge schreiben. Viele Unternehmen machen das, häufig per Standardtext. Allerdings ist die Frage, ob das in einer Krise ausreicht. Tatsächlich werden Unternehmen zunehmend daran gemessen, ob sie selbstständig sicherstellen, dass sie keine ungewollten Komplizen sind. Den Reputationsverlust kann man nicht absichern, wenn man sich dazu entschliesst, in dem Land aktiv zu bleiben. Aus Myanmar zum Beispiel haben sich viele westliche Unternehmen seit dem Staatsstreich zurückgezogen. Selbst wenn die Geschäftspartner vor Ort nicht direkt an Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren.
Es geht also nicht um Moral, sondern um ein kalkuliertes Risiko?
Ganz richtig. Das heisst nicht, dass Moral kein Rolle spielt, aber Risiko ist ein vertrauteres Konzept für viele Manager und Unternehmen.
Welcher moralische Kodex wäre dennoch für Unternehmen anwendbar? Positives Recht, der Kategorische Imperativ oder die Vereinten Nationen?
Es gibt sehr wohl handfeste Grundlagen. Zum Beispiel den CEO Guide To Human Rights des World Business Council for Sustainable Development (WBCSD).
Mit Pouvoir oder ist das eine zahnlose Institution?
Die Erwartung ist, dass WBCSD-Mitglieder diesen Guide anwenden. Und niemand möchte aus so einem Club ausgeschlossen werden. Aber im Vergleich zu geltendem Recht ist das schon eher zahnlos. Was aber nicht heisst, dass es keine Wirkung hat. Der Guide beeinflusst sehr wohl auch die Company Policy und leitet sich von den Vereinten Nationen ab, hat also auch moralische Autorität. Er unterscheidet aber klar zwischen der Verantwortung von Regierungen und der von privaten Unternehmen, wenn es um Menschenrechte geht.
«Ausschlaggebend ist nicht, was man sagt. Sondern was die Öffentlichkeit und vor allem die Kunden und Angestellten wahrnehmen.»
Also sind Chefs mit Gewissen gefragt?
Letztendlich gibt es viele Momente, in denen ein CEO eine Entscheidung treffen muss, die auf gewissen Werten basiert.
Standards gibt es dafür nicht.
Es ist auch nicht so einfach. Nehmen wir den Fall Khashoggi: Siemens-Chef Joe Kaeser hat öffentlich abgewogen, wie er reagieren soll und sich letztendlich gegen einen Boykott entschieden. Regeln helfen. Guidelines helfen. Aber es gibt genug Fälle, in denen es am Ende nicht schwarz oder weiss ist und jemand eine Entscheidung treffen muss. Das ist normalerweise der CEO und deren oder dessen persönliche Werte spielen dabei eine Rolle.
Welches Risiko hat nun eine Firma, wenn diese weiterhin mit einem «umstrittenen» Staat geschäftet? Immerhin kann es sich darauf berufen, kein politischer Akteur zu sein.
Das geht schon – aber nur so lange, bis es eben nicht mehr geht. Denn ausschlaggebend ist nicht, was man sagt oder was man vielleicht schriftlich hat. Sondern was die Öffentlichkeit und vor allem die Kunden und Angestellten wahrnehmen. Menschenrechtsgruppen wissen natürlich, dass sie über Unternehmen Druck auf Regierungen ausüben können. Und sie wissen auch, wo Unternehmen verwundbar sind, also normalerweise die Reputation in Augen der Kunden oder die Attraktivität für Top-Talente oder Investoren.
Wenn Aktivisten gegen ein Unternehmen demonstrieren, kann das Unternehmen das entweder ignorieren oder sogar auf staatliche Unterstützung hoffen und weitermachen. In der Schweiz dürfte es unwahrscheinlich sein, dass sich ausreichend Protestierende finden, damit sich ein Unternehmen jetzt plötzlich aus Weissrussland zurückziehen würde.
Das mag vielleicht für Stadler Rail so sein, aber vielleicht nicht für UBS oder Nestle, die verwundbarer sind, weil sie Endverbraucher als Kunden haben und weltweit bekannte Marken haben. Und wenn Stadler Rail eine der wenigen Firmen ist, die dort weiter Geschäfte macht, dann kann es schon negative Auswirkungen haben. Wenn Sie der Chef von Stadler Rail sind und es ein Foto von Ihnen lächelnd und händeschüttelnd mit Lukaschenko gibt, dann hoffen Sie heute bestimmt, dass das morgen nicht auf der Seite oder Homepage einer grossen Zeitung steht. Natürlich kann man Risiken abwägen, aber mehr und mehr Unternehmen sind sich der drohenden Kosten bewusst. Wenn man sich schon moralisch nicht in der Verantwortung sieht, dann sollte man sich zumindest über die Risiken im Klaren sein. Die sind mit Sicherheit nicht für alle Unternehmen gleich, aber für viele auch nicht null.
«Viele Unternehmen können es sich schlicht nicht erlauben, nicht in China präsent zu sein. Aber bei kleineren Märkten ist der Handelsspielraum grösser.»
Spielt der öffentliche Druck eine Rolle?
Das ist eine andere Art von Risiko für ein Unternehmen. Die Kunden, Angestellten und die Öffentlichkeit haben mittlerweile andere Erwartungen. Es gab zum Beispiel keine nennenswerten Sanktionen gegen den Staat Saudi Arabien nach der Ermordung Jamal Khashoggis. Und trotzdem haben viele führende Unternehmen ihre Teilnahme an grossen Veranstaltungen in dem Land abgesagt. Ein Compliance Team kann nicht viel helfen, wenn es um öffentlichen Druck geht.
Gibt es abseits des virtuellen Schiedsrichters «Angebot und Nachfrage» ethische Regeln für Unternehmen?
Viele Unternehmen glauben, dass sie einfach nur ein paar Regeln formulieren müssen und damit hat es sich dann. Aber die Realität sieht anders aus. Es ist relativ einfach zu sagen, dass man in bestimmten Ländern nicht operiert. Aber heisst das auch, dass man mit Unternehmen aus diesen Ländern nicht in Drittstaaten zusammenarbeitet? Oder dass man nicht mit Unternehmen zusammenarbeitet, die wiederum mit Unternehmen aus boykottierten Staaten kooperieren? Für viele führende Unternehmen ist die Realität daher tatsächlich, dass man ständig in Kontakt ist, offene Kanäle zu Regierungen, Menschenrechtsgruppen und auch zu anderen Unternehmen hat. Situationen mit Hilfe der bestehenden Regeln und Richtlinien zu analysieren und wenn nötig, die Regeln anzupassen, um den Erwartungen der wichtigsten Stakeholder – und auch den eigenen Erwartungen – gerecht zu werden.
Sie unterstellen den Unternehmen viel Fingerspitzengefühl.
Sie können davon ausgehen, dass nicht nur die europäischen Airlines in den letzten 48 Stunden ihre Reaktionen bezüglich Weissrussland verglichen haben, sondern dass viele Unternehmen ihre Exponierung analysieren, Szenarien durchsprechen und sich mit anderen Unternehmen in ähnlichen Situationen austauschen. In solchen Situationen gibt es sicherlich eine Strength-In-Numbers-Dynamik.
Weil man sichergehen will, dass die Konkurrenz die Situation nicht ausnutzt, wie bisher weitermacht und damit Geschäft wegschnappt?
Genau. Es geht in beide Richtungen: Einerseits ist es einfacher, das Richtige zu tun, wenn andere es auch tun. Und dadurch natürlich so wenig wie möglich auf Kosten des eigenen Geschäfts.
Kann man von Doppelmoral sprechen, wenn ein Unternehmen Weissrussland boykottiert, aber mit zum Beispiel mit China geschäftet?
Das kann man schon. Andererseits: Soll das heissen, dass jegliches Unternehmen, welches in China operiert, keine Massnahmen treffen kann, wenn das Militär in Myanmar eine demokratische Regierung stürzt und auf Demonstranten schiesst?
Oder wenn Weissrussland ein ziviles Flugzeug kapert?
Genau. Bismarck hat Politik die Kunst des Möglichen genannt und das trifft auch für Unternehmen zu. Viele Unternehmen können es sich schlicht nicht erlauben, nicht in China präsent zu sein. Aber bei kleineren Märkten ist der Handelsspielraum grösser.
Ist das zynisch?
Solcher Pragmatismus stellt natürlich nicht alle zufrieden.
Wie stark überschneiden sich politische und wirtschaftliche Interessen oder sind diese in unserer Zeit mittlerweile ident?
Sie überschneiden sich immer mehr, vor allem weil Kunden und Angestellte von Unternehmen und deren Chefs mehr erwarten als nur gute Produkte und faire Preise. Aber man muss sich immer wieder vor Augen halten: Unternehmen haben zwar viel Einfluss, deutlich mehr als in der Vergangenheit, aber Firmendiplomatie ist kein Ersatz für politische Diplomatie auf Regierungsebene.