Was vielen deutschen Bankkunden einst die Zürcher Bahnhofstrasse bedeutete, heisst heute Brickell.
Gut möglich, dass selbst langjährige Schweizer Banker den Namen des Finanzdistrikts in Miami noch nie gehört haben. Doch das dürfte sich schnell ändern.
Brickell steht für Grossstadtambiente, Ferienstimmung und Wärme, aber auch für Know-how in Bankfragen, höchste Diskretion und ein mildes Steuerklima. Immer mehr deutsche Kunden, die bislang ein Konto bei einer Schweizer Adresse besassen, treibt es in den amerikanischen Sonnenstaat.
Der Stadtteil Brickell, das Herzstück von Miamis florierender Geldbranche mit ihren mehr als 300 einschlägigen Instituten, ist in Zürcher Bankkreisen zum grossen Gesprächsthema avanciert. Vor allem seit die Banken auf Geheiss der vom Bundesrat verordneten Weissgeldstrategie ihre Kunden «in die Steuerehrlichkeit» überführen müssen, wie die Läuterung der Fiskalsünder politisch korrekt heisst.
Doch nicht alle Kunden wollen den schmachvollen Gang zum Steueramt antreten. Sie weichen aus, und weil andere Schlupflöcher wie Monaco, Zypern und Singapur inzwischen genauso gestopft wurden wie die Schweiz, wandern sie ab - nach Brickell.
«Wall Street Lateinamerikas»
«Dass manche Kunden Miami ansteuern, ist plausibel», sagt der Sprecher einer grossen Zürcher Traditionsbank, die nicht namentlich genannt werden will. Dem pflichtet der deutsche Steuerexperte Hans-Lothar Merten bei: «Miami ist sehr attraktiv, zumal dort auch einiges Know-how in Sachen Vermögensverwaltung vorhanden ist.» Reto Giudicetti, Sprecher der Bank Vontobel, sagt: «Möglicherweise prüfen einige Kunden einen Vermögenstransfer in die USA.»
Zwar wollen die Banken keine Zahlen zu dieser Entwicklung nennen. Doch seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Sommer 2007 und der Verschuldungskrise ist die Welt für Steuertrickser eine fundamental andere. Angesichts der leeren Staatskassen jagen viele Länder gnadenlos alles, was nach verheimlichtem Vermögen aussieht. Kein Wunder, dass die Schweiz so zum erklärten Ziel unendlicher Begehrlichkeiten geworden ist. Der Druck aus dem Ausland zeigte Wirkung. Das Schweizer Bankgeheimnis existiert für Ausländer faktisch nicht mehr, und im Inland werden Pläne für verschärfte Steuergesetze gewälzt.
Vor diesem Hintergrund haben bereits viele, vor allem deutsche Kunden mit einer Selbstdeklaration ihre Vermögenssituation in Ordnung gebracht. Bei dieser Klientel, welche in der Vergangenheit mit geschätzten 200 Milliarden Euro den höchsten Anteil an unversteuerten Kunden auf dem Schweizer Finanzplatz stellte, dürften mittlerweile gut zwei Drittel mit den Behörden ihres Heimatlandes ins Reine gekommen sein, wie Reto Giudicetti von der Bank Vontobel schätzt. Andere Finanzinstitute bestätigen dies.
Drogengelder saubergewaschen
Doch das verbleibende Drittel muss jetzt handeln. Und tut das auch. «Die Abflüsse im grenzüberschreitenden Geschäft mit Westeuropa könnten noch einige Zeit andauern», sagt Patrick Odier, Präsident der Schweizerischen Bankiervereinigung.
Unterschwellig deutet auch er damit an, dass eine beträchtliche Kapitalverlagerung im Gang ist und Florida nicht länger nur für Rentner und Sonnenanbeter attraktiv sein mag. «Steuerhinterziehung ist vermutlich noch einer der netteren Hintergründe für die Versteckspiele, die der dortige Finanzplatz anbietet», erklärt die Schweizer Advokatin und Bankenkennerin Monika Roth. Und der britische Publizist und Steueroasen-Experte Nicholas Shaxson taxiert Miami als die «Wall Street Lateinamerikas».
Bereits in den 1950er-Jahren profilierte sich Florida als Finanzdrehscheibe für den Drogenhandel. Das zufliessende Geld wurde in Miami zunächst über Immobiliengeschäfte «saubergewaschen». Mit Erfolg. 20 Jahre später stand mehr als die Hälfte der Immobilien in der Stadt im Besitz von Offshore-Briefkastenfirmen. In den 1980er-Jahren kamen bereits 40 Prozent aller Bankeinlagen aus dem Ausland, mehrheitlich aus Lateinamerika. Zurzeit sind mindestens 100 Milliarden Dollar von ausländischen Kunden im «Sunshine State» geparkt, wie die Florida Bankers Association mitteilt. Der Organisation gehören gut 300 Geldhäuser an.
Dass ausgerechnet Miami zum Mekka der beratungsresistenten Steuerhinterzieher mutiert, entbehrt nicht einer gewissen «Ironie», wie es der demokratische US-Senator Carl Levine einst diplomatisch formulierte. Kein anderes Land auf der Welt ist je mit gröberem Geschütz gegen die angebliche Steueroase Schweiz aufgefahren als Amerika. Schon in den 1960er-Jahren unterstellten US-Politiker der Schweiz, mit ihren Banken den Sowjets bei dubiosen Finanzgeschäften behilflich zu sein. Später machten die Amerikaner so viel Druck, bis die Schweiz ihr Börsengesetz anpasste, um bei Insiderverdacht Bankdaten ausliefern zu können.
Kontroverse um Konten
Zudem gab es die in New York losgetretene Kontroverse um die nachrichtenlosen Vermögen aus der Zeit vor und während des Zweiten Weltkriegs. Sie endete in einem Desaster, das den hiesigen Finanzplatz nachhaltig schwächte. Doch erst in den vergangenen Jahren gelang es den Amerikanern, die Akteure in der Schweiz richtig in die Knie zu zwingen.
Ob mit dem Patriot Act nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, der Qualified-Intermediary-Vereinbarung oder dem Fatca-Abkommen, welches nächstes Jahr in Kraft tritt - diese extraterritorialen Gesetze legitimieren die USA, bei ausländischen Banken, welche mit Amerika Geschäfte machen, vertrauliche Kundendaten einzuholen. Im Nahkampf trieben die US-Behörden noch die UBS in die Enge und zwangen Wegelin, die älteste Bank der Schweiz, zur Geschäftsaufgabe. Weiterhin pflegt Amerika eine Liste von elf Geldhäusern, die gegen das US-Steuerrecht verstossen haben sollen.
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