Den Zuschlag für das Los 8, Patrouillendienste im Umfeld des Empfangs- und Verfahrenszentrums (EVZ) Altstätten SG holte sich Securitas. Die Sicherheitsfirma mit Sitz in Zollikofen BE hatte Stundenansätze zwischen 43.50 und 65 Franken offeriert und damit die Zuschlagskriterien gemäss Ausschreibungsunterlagen offenbar am besten erfüllt. Das Los 3 für Betreuungsdienstleistungen im EVZ Vallorbe VD entschied ORS Service aus Zürich für sich.
Ein Glückstreffer, denn dieses Los enthielt neben Vallorbe und der Unterkunft im Transitbereich des Flughafens Genf auch gleich alle dereinst möglichen Bundesasylzentren in den Kantonen Waadt, Genf, Wallis, Freiburg, Jura und Bern, deren genauen Standorte im Sommer 2013 – zum Zeitpunkt der Ausschreibung – noch nicht bekannt waren.
Erklärung für Lohnunterschiede fehlt
Die Ostschweiz hingegen mit dem EVZ Kreuzlingen, dem Flughafen Zürich und allen künftigen Empfangszentren in den Kantonen Zürich, Schaffhausen, Thurgau und Zug (Los 2) angelte sich die Asylorganisation Zürich (AOZ). Dabei offerierte die AOZ als Verwaltungszweig der Stadt Zürich deutlich höhere Stundenansätze als die private ORS. Für eine Betreuungsperson verrechnet die AOZ Ansätze bis zu 85 Franken, für eine Pflegefachperson bis zu 80 Franken, während ORS in Los 3 für die Betreuung und für die Pflege jeweils maximal 59 Franken in Rechnung stellt. Eine Erklärung für die Lohnunterschiede fehlt. Auch präzise Angaben über das gesamte Auftragsvolumen der öffentlichen Ausschreibung sind nicht möglich: Das für den Asylbereich zuständige Bundesamt hatte nur Stundenansätze pro Leistung verlangt, da die Auftragslage Schwankungen ausgesetzt sei.
Die öffentliche Ausschreibung zur Betreuung und Bewachung der Bundesasylzentren sollte den Schein von Wettbewerb unter den entsprechenden Anbietern wahren. Eine übersichtliche Klarheit über das Millionengeschäft im Asyl- und Flüchtlingswesen brachte sie nicht. Die lukrativen Aufträge für die Bundeszentren gingen an wenige spezialisierte Anbieter. Für die beiden auf den Betrieb von Asylzentren spezialisierten Zürcher Unternehmen ORS und AOZ resultierte 2014 ein Auftragsvolumen bis zu 5,3 beziehungsweise 2,45 Millionen Franken. Richtig dick ins Geschäft kamen die Sicherheitsspezialisten: Securitas erhielt nicht weniger als 11,5 Millionen Franken zugesprochen, Abacon in Diepoldsau SG durfte für 4,5 Millionen Franken Aufträge erledigen (siehe Zahlen).
Bundesbudget für Migration steigt und steigt
Detaillierte Zahlen für 2015 liegen noch nicht vor. Klar aber ist: Sie werden ein Mehrfaches betragen. Das Geschäft mit Menschen in Not boomt. Rund 1,5 Milliarden Franken hat das zuständige Staatssekretariat für Migration (SEM) letztes Jahr ausgegeben – über 200 Millionen mehr als budgetiert.
Für 2016 hat der Zustrom von Flüchtlingen bereits zu einer Budgetkorrektur um 342 Millionen auf 1,84 Milliarden geführt. Die Zahlen für die kommenden drei Jahre wurden wiederholt nach oben angepasst. Ende Februar wurden für die Zeit von 2017 bis 2019 je 2,2 bis 2,3 Milliarden Franken kalkuliert. Jetzt ist diese Summe nochmals gestiegen: Der Bund veranschlagt für 2018 fast 2,4 Milliarden Franken für den Bereich Migration, wie Serge Gaillard, Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung, heute sagte. Damit verdoppelt sich die Summe der Aufwendungen innert weniger Jahre.
Asylzentren verursachen nur einen Bruchteil der Kosten
Dabei verschlingen die vom Bund betriebenen Empfangs- und Verfahrenszentren nur einen Bruchteil der ganzen Asylkosten. Die Betriebsausgaben für die fünf Bundeszentren (Basel, Chiasso, Kreuzlingen, Vallorbe und Altstätten) und für die diversen zivilen und militärischen Notunterkünfte des Bundes betrugen 2014 rund 77,2 Millionen Franken. 767 Millionen flossen in die Kantone – in Form von monatlichen Pauschalen von 1430 Franken pro Person.
Mit dem Mittelabfluss in die Kantone ist aber eine Übersicht über das steuerfinanzierte Asylgeschäft endgültig verunmöglicht. Getreu dem eidgenössischen Föderalismus haben die Kantone den Vollzug des Bundesauftrags völlig unterschiedlich organisiert. Während Graubünden und Schaffhausen auf vom Kanton betriebene Kollektivzentren setzen, haben Zürich oder Thurgau die Asylbetreuung weitgehend an die Gemeinden delegiert. Kantone wie Bern, Glarus oder Luzern haben das Asylwesen kantonalisiert und den Vollzug Dritten übertragen. Uri hat umgehend das Rote Kreuz mit der Aufgabe betraut.
Übersicht über die Ausgaben fehlt
Der Föderalismus hat Folgen: Wohin die Asylmillionen fliessen und wer letztlich davon profitiert, weiss niemand genau. Eine Übersicht über die einzelnen Kantone haben wir nicht, sagt Marcel Suter, Leiter des Bündner Migrationsamts und Präsident der Vereinigung kantonaler Migrationsbehörden. Auch die zuständige Konferenz der kantonalen Sozialdirektoren kann keinen Überblick liefern.
Das eröffnet den Kostgängern Tür und Tor. Volumenmässig an vorderster Front mischt ORS Service mit. Allein auf dem Schweizer Markt hat sie ihren Umsatz von 55 Millionen Franken im Jahr 2010 auf 65 Millionen 2014 und nun sogar auf 85 Millionen im vergangenen Jahr gesteigert. Zusammen mit der Tochter ABS Betreuungsservice, die in vier Kantonen Mandate hat, steigt der Gesamtumsatz auf 100 Millionen. Die Zahlen für Deutschland und Österreich, wo die Firma praktisch eine Monopolstellung in der Asylbetreuung reklamiert, liegen für 2015 noch nicht vor. Aktuell beschäftigt ORS rund 600 Mitarbeiter, 100 mehr als noch Anfang 2015. Davon arbeiten rund 90 Prozent unmittelbar in der Betreuung der Asylsuchenden und Flüchtlinge, sagt ein Sprecher.
Gewinne erwirtschaften mit der Flüchtlingskrise
Abgesehen von den Bundeszentren ist die Firma in sechs Kantonen und 40 Gemeinden für den Betrieb der Unterkünfte und die Betreuung von rund 6000 Asylsuchenden zuständig. ORS-Chef Stefan Moll-Thissen versteht sein Geschäft: Mit einem breiten Angebot und einem standardisierten Qualitätssystem, das über 200 mit Checklisten kontrollierte Prozesse enthält, weiss er zu überzeugen. Und scheut sich nicht, mit der Flüchtlingsbetreuung Gewinne zu erwirtschaften. Wie hoch die sind, bleibt ein Geheimnis. Ebenfalls zugeknöpft ist Securitas: Wir kommentieren die Aufträge nicht, sagt ein Sprecher.
Der grösste Player auf dem Flüchtlingsmarkt, die AOZ als selbstständige öffentliche Anstalt, gibt für das Jahr 2014 einen Reingewinn von 2,35 Millionen Franken an - das Zehnfache des Vorjahres. Dies bei einem Umsatz von 144 Millionen. Die halbstädtische AOZ hat ihre Mitarbeiterzahl in den vergangenen fünf Jahren auf 840 verdoppelt. Heute betreut die AOZ Asylsuchende in fünf Bundeszentren, drei mehr als noch 2014, und ist auf kantonaler Ebene für sieben Durchgangszentren zuständig. Dazu kommen die Stadt Zürich und weitere Gemeinden mit insgesamt über 4000 Asylsuchenden.
Kanton Bern setzt auf die Heilsarmee
Neben ORS und AOZ mischen auch gemeinnützige Organisationen bei der Flüchtlingsbetreuung mit. Der Kanton Bern etwa setzt seit Jahren auf die Heilsarmee. Deren Flüchtlingshilfe betreut inzwischen mit 250 Mitarbeitern über 3000 Personen. Der Flüchtlingsbereich macht mit rund 20 Millionen einen wesentlichen Teil des Jahresumsatzes von 180 Millionen Franken aus.
Auch die Heilsarmee schweigt sich über einen möglichen Gewinn aus. Man kann Geld verdienen in diesem Geschäft, bestätigt der für das Flüchtlingshilfedossier zuständige Daniel Röthlisberger. Aber eine Gewinnabschöpfung wäre ethisch schwierig zu verantworten. Je nach Leistungsauftrag lasse sich Geld machen oder in die Qualität einer guten Betreuung investieren, sagt Röthlisberger und ärgert sich über die mangelnden Bundesvorgaben: Der Standard der Qualität ist längstens noch nicht genügend definiert.
Hilfswerke vor die Tür gesetzt
Ähnliche Kritik kommt von Caritas-Sprecher Stefan Gribi. Das Hilfswerk verliert Ende 2016 nach 30 Jahren das Mandat für die Betreuung anerkannter Flüchtlinge in Luzern. Auch in Obwalden muss es sein Mandat abgeben, während der Kanton Schwyz die Zusammenarbeit sogar noch ausbaut. Da will man Geld sparen, sagt Gribi zu den Mandatsverlusten, was entweder über die Löhne der Mitarbeiter oder über den Betreuungsschlüssel möglich ist. Entsprechend unverständlich ist für ihn, dass Bund und Kantone zunehmend auf kommerzielle Firmen setzen. Seine Forderung: Zivilgesellschaftliche Organisationen müssen besser einbezogen werden.
Zu den Profiteuren des Geschäfts mit der Flüchtlingsnot gehören aber nicht nur die Akteure in der Betreuung, Geld fliesst auch Zaungästen zu. Vom Finanzsegen aus der Bundesschatulle geht ein guter Teil in die Sozialindustrie mit ihren Beratern, sozialpädagogischen Begleitern und Anbietern von Sprachkursen. Gewinnen können aber auch all jene, die eine Unterkunft anzubieten haben.
Die Schweizer Jugendherbergen (SJH) etwa haben in diesem Winter vier normalerweise saisonal geschlossene Herbergen für Asylsuchende geöffnet. Die Jugis können so ihren Logiernächte-Rückgang aufpolieren und ermöglichen ihren Mitarbeitern eine ganzjährige Anstellung. Wie viel die Beherbergung inklusive Mahlzeiten und Zimmerservice die zuständigen kantonalen Migrationsämter kostet, wollen die SJH nicht verraten. Die Kalkulation des Tagespreises pro Person basiere auf Vollkostendeckung, nicht auf Renditeberechnungen, sagt eine Sprecherin. Ein Gewinn wird dabei nicht erwirtschaftet.
Fehlende Transparenz
Die fehlende Transparenz im Asylgeschäft ruft inzwischen Kritiker wie Beat Meiner auf den Plan. Meiner kennt sich aus. Er war bis Juli 2015 Generalsekretär der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Sein Fazit: Im ganzen Asylfürsorgebereich herrscht grosse Intransparenz bis zur Willkür. Fakt ist: Selbst Gemeinden dürfen die hohle Hand machen. Dübendorf ZH beispielsweise konnte 2009 von den rund 1,1 Millionen Franken an Bundesgeldern immerhin 265'000 Franken als Ertragsüberschuss in die Gemeindekasse abzweigen, ein Jahr später waren es noch 195'000 Franken. Inzwischen hat sich das Blatt gedreht: Seitdem die Gemeinde ORS beauftragt hat, resultieren regelmässig Aufwandüberschüsse von 130'000 bis 300'000 Franken.
Eine Einnahmequelle bleibt die Flüchtlingsnot für die Gemeinde Hasle bei Burgdorf BE. Sie stellt ihr leerstehendes Schulhaus für 150 Asylsuchende zur Verfügung. Der Kanton bezahlt dafür eine Miete von 250 000 Franken – für den Ortsteil Schafhausen eine beträchtliche Summe. Ohne den Zustupf müsste die Gemeinde wohl die Steuern erhöhen.