Neben dem Bahnhof und dem Zoo der belgischen Stadt Antwerpen liegt ein kleines Viertel, das plötzlich Weltpolitik macht. Es sieht trist aus. Schmale Strassen, rostige Rolltore, Bürogebäude aus Klinker und Beton. Doch etwas ist auffällig. An vielen Kreuzungen hängen Kameras. Und überall patrouillieren Polizisten. Sie tragen Schutzwesten und Sturmgewehre. Als ob sie jeden Moment einen Überfall fürchten.
Die Gegend ist gut bewacht, denn hinter den grauen Fassaden werden wertvolle Güter gehandelt: Diamanten aus fernen Ländern. Aus Botsuana, Angola, Südafrika, Kanada. Und aus Russland. Antwerpen ist das Herz des globalen Geschäfts mit Edelsteinen.
Tausende Makler, Schleifer und Juweliere tummeln sich hier. Fast neun von zehn aller rohen Diamanten auf der Welt und die Hälfte der geschliffenen kommen während ihrer langen Reise zwischen Minen und Kunden in Antwerpen vorbei, im sogenannten Diamantenviertel.
Diamanten bleiben unangetastet
Die Diamanten aus Russland sind nun ein Problem. «Europa», sagt die Abgeordnete Kathleen Van Brempt aus der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im EU-Parlament zu WELT AM SONNTAG, «muss den Import stoppen.» Van Brempt ist Belgierin, kommt selbst aus Antwerpen. «Ich bin stolz auf die Edelsteinindustrie meiner Stadt», sagt sie. «Aber für Putins Blutdiamanten darf es dort keinen Platz geben.» Der Handel mit den wertvollen Mineralen helfe dem russischen Präsidenten, seinen Krieg gegen die Ukraine zu finanzieren.
Die EU hat bereits neun Sanktionspakete gegen Russland verhängt. Hunderte Produkte aus dem Staat dürfen nicht mehr importiert werden. Kohle, Öl und Stahl zum Beispiel. Zement, Holz und Zigaretten. Gold, Kaviar und Wodka. Das Ziel ist es, Wladimir Putins Kriegskasse auszutrocknen. Oder wenigstens seine Einnahmen zu schmälern. Doch ein russischer Exportschlager blieb bisher unangetastet: die Diamanten.
Der russische Konzern Alrosa gräbt weit im Osten Russlands, in der Region Jakutien, Jahr für Jahr Millionen Diamanten aus. Viele davon werden nach Europa verkauft. Noch immer. Obwohl Putins Krieg gegen die Ukraine schon mehr als elf Monate andauert.
Und obwohl der Westen sich bemüht, Russland von der globalen Wirtschaft abzuschneiden. Alrosa ist der grösste Edelsteinproduzent der Welt. Der Umsatz des Unternehmens lag 2021 bei fast vier Milliarden Euro.
Die Nähe zwischen Alrosa und dem Kreml ist nicht zu übersehen. Vor 30 Jahren finanzierte der Diamantengigant ein diesel-elektrisches U-Boot für die russische Marine, die «B-871 Alrosa». Es wurde offenbar mehrfach modernisiert und mit Marschflugkörpern ausgerüstet – und ist noch heute im Dienst.
Der Konzern wird von Sergej Iwanow geführt, einem Vertrauten Putins. Iwanow, von dem es zuletzt hiess, er wolle Alrosa verlassen, zählte zu den ersten russischen Oligarchen, die die USA nach Kriegsbeginn mit Sanktionen belegten. Warum also tut Europa nichts?
Alrosa verschwand aus den Sanktions-Entwürfen
Die EU muss einstimmig über Sanktionen entscheiden. 26 Mitgliedstaaten, erzählen Diplomaten in Brüssel, wollten in vergangenen Verhandlungsrunden ein Importverbot für russische Diamanten. Ein Land wehrte sich. Belgien.
Premierminister Alexander De Croo sagt öffentlich zwar immer wieder, er befürworte Massnahmen gegen Alrosa. Und tatsächlich stand der Name des Konzerns schon mehrfach in Entwürfen für Sanktionspakete. Doch stets verschwand er wieder, schaffte es nie in Abschlusserklärungen. Ein Mysterium.
Könnte der Grund Antwerpen sein? Die Hafenmetropole in der Region Flandern, die seit 500 Jahren den globalen Diamantenhandel bestimmt?
In Belgien hängen 30'000 Arbeitsplätze an der Branche. Daher dürfte das Interesse der Regierung an Edelsteinsanktionen gering sein, trotz aller Beteuerungen. Jedenfalls bewirkte der Druck der anderen EU-Staaten in der Vergangenheit nichts.
Auch die Appelle von Wolodymyr Selenskyj verhallten. «Frieden», sagte der ukrainische Präsident vor fast einem Jahr in einer Videoschalte mit dem belgischen Parlament, «ist mehr wert als Diamanten.» Der Handel über Antwerpen ging weiter.
«Sanktionen sind nicht die Lösung», meint Tom Neys vom Antwerp World Diamond Centre. Der Verband vertritt die Interessen der belgischen Händler. «Die Industrie könnte nach Indien oder Dubai abwandern», warnt Neys. «An Orte also, wo weniger Wert auf Transparenz und Nachhaltigkeit gelegt wird als in Antwerpen.»
Obwohl es noch keine Sanktionen gibt, spürt Antwerpen die Folgen des Krieges. Vor Russlands Angriff auf die Ukraine kam fast jeder dritte Rohdiamant, der in der Stadt gehandelt wurde, aus den Minen von Alrosa. 2021 importierte Belgien russische Diamanten im Wert von 1,8 Milliarden Euro, wie Zahlen der Zentralbank des Landes zeigen.
In den ersten acht Monaten 2022 waren es 1,2 Milliarden Euro – dann brachen die Importe um 83 Prozent ein. Bis dahin nahmen viele Juweliere noch russische Diamanten ab, die sie vor dem Krieg bestellt hatten. Nun liefen die Verträge aus. Der Handel geht also auch ohne Importverbote zurück, dennoch wären sie ein wichtiges Symbol, sagen Befürworter.
Belgien will mildere Massnahmen
Wird Belgien in den nächsten Verhandlungsrunden einem europaweiten Importstopp zustimmen? Wahrscheinlich nicht. Die Regierung dürfte sich höchstens enthalten. Das liegt auch an dem komplizierten politischen System des Landes.
De Croo führt eine Koalition aus sieben Parteien. Und selbst wenn die sich einigen, braucht er noch das Ja der Regionen. Doch Flandern wird von einer Partei geführt, deren Chef – ein Mann namens Bart De Wever – noch ein zweites Amt bekleidet: Bürgermeister von Antwerpen. De Wever lehnt Diamantensanktionen rigoros ab.
Die belgische Regierung wirbt für eine mildere Massnahme. Sie will ein System einführen, mit dem sich die Herkunft von Diamanten besser nachvollziehen lässt als bisher. Derzeit vertrauen Juweliere auf den sogenannten Kimberley-Prozess, ein komplexes System aus Zertifikaten und Exportkontrollen.
Doch besonders zuverlässig ist es nicht. Pakete mit Edelsteinen werden von Zwischenhändlern oft vermischt, Dokumente ausgetauscht. Die Theorie der Belgier geht so: Liesse sich der Weg der Juwelen um den Globus besser nachvollziehen, könnte der Markt die Sache regeln. Welche Kundin wollte schon einen Ring mit Putins Blutdiamanten tragen?
Dieser Artikel erschien zuerst auf Welt.de unter dem Titel «Das Milliardengeschäft mit ‹Putins Blutdiamanten›».
3 Kommentare
"Die Ehre ist ein Diamant, den die Tugend an ihrem Finger trägt."
Voltaire (1694 - 1778), eigentlich François-Marie Arouet, französischer Philosoph der Aufklärung, Historiker und Geschichts-Schriftsteller
Trotzdem floss das Öl weiter – dank des legendären Rohstoffhändlers Marc Rich, der eine gute persönliche Beziehung zu Revolutionsführer Ajatollah Chomeini hatte.
Dass Geschäfte mit dem Iran nach US-Recht illegal waren, kümmerte Rich dabei wenig. Der Gründer des Schweizer Rohstoffkonzerns Glencore handelte nach der Devise: "Ich erbringe eine Dienstleistung. Manche Leute wollen mir Öl verkaufen und andere wollen Öl von mir kaufen."
Eine Pipeline wie aus einem Spionagethriller
Pipelines sind immer auch Politik. Doch kaum eine Ölleitung hat den Schah von Persien, Ajatollah Chomeini, Marc Rich und gleich zwei US-Präsidenten in ihrer Geschichte und ist trotzdem nahezu unbekannt.
In welche Richtung fließt das Öl? Die Antwort auf diese Frage ist in Israel ein Staatsgeheimnis. Die Rede ist von der Trans-Israel-Pipeline zwischen den israelischen Städten Eilat am Roten Meer und Aschkelon am Mittelmeer. Die Röhre ist 254 Kilometer lang und hat einen Durchmesser von einem Meter sowie eine schillernde Geschichte.
Gebaut wurde sie 1968, im Jahr nach dem Sechstagekrieg. Dieser sorgte für eine Schließung des Suezkanals bis 1975. Das zwang Tanker mit Öl aus dem Persischen Golf für Lieferungen nach Europa zur langen Reise um ganz Afrika.
Damit wurde es billiger, Öl in Eilat anzulanden, quer durch Israel zu pumpen und anschließend wieder per Schiff weiterzutransportieren. Damit war die Eilat Ashkelon Pipeline Company (EAPC) geboren, ein hälftiges Joint Venture zwischen Israel – und dem Iran.
Iran unter der Führung von Schah Mohammad Reza Pahlavi unterhielt gute Beziehungen zu Israel. Das änderte sich allerdings jäh mit der Islamischen Revolution 1979.
Eine Pipeline wie aus einem Spionagethriller
Pipelines sind immer auch Politik. Doch kaum eine Ölleitung hat den Schah von Persien, Ajatollah Chomeini, Marc Rich und gleich zwei US-Präsidenten in ihrer Geschichte und ist trotzdem nahezu unbekannt.