Die Gegner eines britischen EU-Austritts ohne Abkommen bereiten sich laut Medienberichten auf eine gerichtliche Auseinandersetzung mit der Regierung vor. Das berichteten unter anderen die TV-Sender BBC und Sky News unter Berufung auf Parlamentskreise.
Premierminister Boris Johnson hatte es mehrfach ausgeschlossen, bei der EU eine erneute Verschiebung des Brexit-Datums zu beantragen. Bislang ist der 31. Oktober vorgesehen. Lieber wolle er «tot im Graben liegen», sagte er.
Das am Freitag verabschiedete Gesetz gegen den ungeregelten EU-Austritt sieht jedoch vor, dass die Regierung eine Verlängerung der Brexit-Frist beantragen muss, wenn bis zum 19. Oktober kein Abkommen ratifiziert ist. Hellhörig wurden Johnsons Gegner, als er am Freitag Reportern sagte, das Gesetz sehe nur «theoretisch» eine Brexit-Verschiebung vor.
Johnson hat versprochen, sein Land am 31. Oktober aus der EU zu führen, «komme, was wolle». Er will am Montag im Unterhaus über eine Neuwahl am 15. Oktober abstimmen lassen, um das Gesetz mit einer Parlamentsmehrheit rechtzeitig noch einmal zu ändern. Doch die Opposition hat bereits klar gemacht, dass sie das nicht zulassen wird. Für eine vorgezogene Wahl ist die Zustimmung von zwei Dritteln aller Abgeordneten notwendig.
Experten: Johnson droht Gefängnis
Spekuliert wird nun, die Regierung könne mangels Alternativen versuchen, das Gesetz einfach zu ignorieren oder ein Schlupfloch zu finden, um es zu umgehen. Doch Experten warnten, Johnson könnte im Extremfall im Gefängnis landen, sollte er sich über das Gesetz stellen.
«Er ist genauso an das Rechtsstaatsprinzip gebunden wie jeder andere in diesem Land», sagte ehemalige Generalstaatsanwalt Dominic Grieve der BBC am Samstag. «Wenn er sich nicht daran (an das Gesetz) hält, kann er vor Gericht verklagt werden. Das Gericht würde nötigenfalls eine Verfügung erlassen, die ihn dazu verpflichtet (...) hält er sich nicht an die Verfügung, könnte er ins Gefängnis geschickt werden.»
Kritik von Churchill-Enkel
Unterdessen rechnete der von Johnson aus der Tory-Fraktion geworfene Enkel des legendären britischen Kriegspremiers Winston Churchill (1874-1965), Nicholas Soames, in einem Interview mit dem Regierungschef ab. Er sehe keine Ähnlichkeiten zwischen seinem Grossvater und Boris Johnson, sagte Soames. Dem aktuellen Premierminister wird nachgesagt, er wolle dem grossen Staatsmann, über den er eine Biografie verfasst hat, nacheifern.
«Boris Johnson ist überhaupt nicht wie Winston Churchill», sagte Soames der «Times». Sein Grossvater sei von seinen Erfahrungen im Leben geprägt worden. «Boris Johnsons Erfahrung im Leben besteht daraus, eine Menge Lügen über die Europäische Union in Brüssel erzählt zu haben und dann Premierminister geworden zu sein», sagte Soames.
Er glaube, sein Grossvater würde es nicht befürworten, die «aussergewöhnliche Beziehung, die wir mit dieser grossartigen Europäischen Union haben» aufzugeben, fügte Soames hinzu.
Soames war gemeinsam mit 20 anderen Tory-Abgeordneten am Dienstag von Johnson aus der Fraktion verbannt worden, weil er für das Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit gestimmt hatte.
Das harsche Vorgehen Johnsons gegen seine innerparteilichen Gegner löste heftige Kritik aus. Johnsons Bruder, Jo Johnson, legte aus Protest sein Amt als Staatssekretär und sein Abgeordnetenmandat für die Konservativen nieder. Das Gesetz passierte am Freitag die letzte parlamentarische Hürde im Oberhaus und kann nach Billigung durch die Queen in Kraft treten.
Abrechnung mit Rees-Mogg
Auch mit Erz-Brexitanhänger bei den Tories, Jacob Rees-Mogg, der inzwischen als Vorsitzender des Unterhauses fungiert, rechnete Soames in dem «Times»-Interview ab. «Er ist ein absoluter Betrüger, ein lebendes Beispiel dafür, was ein mässig sitzender Zweireiher-Anzug und eine anständige Krawatte (im Zusammenspiel) mit einer ultra-vornehmen Stimme und einem Stück Ingwer im Hintern bewirken», sagte Soames.
In Grossbritannien war es früher üblich, Pferden auf dem Markt Ingwer in den Hintern zu stecken, damit sie lebendiger wirkten, wenn sie einem potenziellen Käufer präsentiert wurden.
Die Zukunft seiner Konservativen Partei sieht der 71-Jährige nach seinem Rauswurf aus der Fraktion kritisch. Die Tories würden immer einer «Brexit-Sekte» gleichen, so der Churchill-Enkel, der bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten will. (SDA)