Der neue Vorschlag des Bundesrats zur Beseitigung der Heiratsstrafe bei der Bundessteuer ist gescheitert. Der Nationalrat hat am Mittwoch als Zweitrat entschieden, die Vorlage an die Regierung zurückzuweisen. Diese muss nun über die Bücher.

Der Nationalrat folgte mit 113 zu 80 Stimmen dem Ständerat und einer knappen Mehrheit seiner Wirtschaftskommission (WAK). Die WAK bemängelte, dass der Vorschlag des Bundesrats den verschiedenen Lebens- und Familienformen nicht gerecht werde, indem neu Konkubinatspaare bestraft würden.

SVP und CVP kritisieren Arbeitsverweigerung

Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht erteilte die WAK-Mehrheit der Vorlage ein Ungenügend. Der Bundesrat schaffe damit zwar die Heiratsstrafe an sich ab, sagte Kathrin Bertschy (GLP/BE). Aber das Problem, dass sich zweite Einkommen wegen der Steuerprogression häufig nicht lohnten, bleibe bestehen.

Tiana Angelina Moser (GLP/ZH) plädierte für eine individuelle Besteuerung. Es sei nicht an Politik und Staat, mit Steuern gewisse Lebens- und Familienformen zu bestrafen. Regula Rytz (Grüne/BE) sah die Rückweisung als Chance, «im jüngeren und weiblicheren Parlament endlich eine moderne Paar- und Familienbesteuerung zu entwickeln».

SVP und CVP lehnten die Rückweisung ab und sprachen von Arbeitsverweigerung. Der Auftrag, die Heiratsstrafe abzuschaffen, liegt seit 1984 vor. Fünf Modelle habe der Bundesrat bisher vorgelegt, und alle Kantone hätten den Auftrag umgesetzt. «Aber das Parlament ist dazu nicht in der Lage», sagte Markus Ritter (CVP/SG).

Ritter mahnte den Rat, in einer Wiederholung der Abstimmung über die CVP-Volksinitiative für die Abschaffung der Heiratsstrafe nicht den Ehebegriff zu kritisieren. «Sie haben es in der Hand, eine mehrheitsfähige Lösung zu erarbeiten.»

Die Leidtragenden einer Rückweisung seien jene 1,4 Millionen Menschen, die wegen der nach wie vor bestehenden Heiratsstrafe zu viele Bundessteuern bezahlen müssten, stellte Ritter fest. Marcel Dettling (SVP/SZ) mahnte, dass es um 1,5 Milliarden Franken im Jahr gehe, die den Familien gehörten.

«Unsoziale Reichen-Vorlage»

Beat Jans (SP/BS) widersprach: Der Bundesrat habe eine «ausgesprochen unsoziale Reichen-Vorlage» erarbeitet. Denn die 1,5 Milliarden Franken würden vor allem unter den Reichsten verteilt, während rund die Hälfte der Familien wegen ihres zu tiefen Einkommens gar keine Bundessteuer bezahlten und leer ausgingen.

Die Reform gemäss den Plänen des Bundesrates hätte bei der direkten Bundessteuer zu Mindereinnahmen von rund 1,5 Milliarden Franken geführt. Davon wären rund 1,2 Milliarden auf den Bund und 300 Millionen Franken auf die Kantone entfallen.

Finanzminister Ueli Maurer erklärte, die beantragte alternative Steuerberechnung für Ehepaare komme einer Individualbesteuerung sehr nahe. Die Steuerbelastung der Ehepaare würde zunächst im Rahmen der gemeinsamen Veranlagung berechnet und dann in Anlehnung an die Besteuerung von Konkubinatspaaren. Bezahlt würde der tiefere Betrag.

Maurer sah auch bei der Individualbesteuerung offene gesellschaftspolitische Fragen. Etwa seien Einverdiener-Ehepaare benachteiligt. Fragen zu lösen gäbe es auch zum Wohneigentum.

Eine Vorlage zu verabschieden, wäre laut Maurer eine Plattform für weitere Schritte und zugleich ein pragmatischer Weg: Möglicherweise könne so die zweite Abstimmung über die CVP-Volksinitiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe vermieden werden.

700'000 Paare betroffen

2016 lehnte das Stimmvolk diese Volksinitiative der CVP äusserst knapp ab. Weil der Bund falsche Zahlen vorgelegt hatte, entschied das Bundesgericht später, dass die Abstimmung aufzuheben sei.

Wird die Initiative nicht zurückgezogen, muss der Urnengang wiederholt werden. Ob die CVP dies tut, war am Mittwoch offen. Eine Sprecherin sagte auf Anfrage von Keystone-SDA, die Lage werde nun analysiert und dann über das weitere Vorgehen entschieden.

Ein Rückzug der Initiative wäre möglich, bis der Bundesrat den Abstimmungstermin festlegt. Dies muss vor dem 27. Mai 2020 geschehen. Abgestimmt würde im September, wie Maurer im Rat sagte.

Von der Heiratsstrafe betroffen sind gemäss den neuen Angaben des Bundes rund 454'000 Zweiverdiener-Ehepaare und 250'000 Rentner-Ehepaare. Sie sind gegenüber unverheirateten Paaren durch eine steuerliche Mehrbelastung von mehr als 10 Prozent benachteiligt.

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(sda/gku)