Er kam in der Uhrmacherstadt La Chaux-de-Fonds zur Welt. Er studierte Maschinenbau, er lernte bei Boston Consulting, Firmen umzubauen, er verwaltete Vermögen bei der UBS, er studierte nochmals, diesmal Wirtschaftsgeschichte, und er lebt heute in Biel. Das ist Jérôme Cosandey, der künftige Chef der Direktion für Arbeit beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Seco-Direktorin Helene Budliger Artieda hat den 55-Jährigen am Mittwoch zum Nachfolger von Boris Zürcher ernannt.
Sein Leistungsausweis zeigt eine grosse Palette an Erfahrung. Und dennoch macht Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard bereits auf Krawall: Der Mann sei «eine Provokation für die Arbeitnehmenden», eine Fehlbesetzung und «eine Gefahr für die arbeitenden Menschen im Land», so Maillard.
Der Gewerkschafter übertreibt masslos. Cosandeys Schuld sei, so Maillard, bei Avenir Suisse gearbeitet zu haben, einer geachteten, wirtschaftsliberalen Denkfabrik. Avenir Suisse habe 2017 zum Abbau der flankierenden Massnahmen aufgerufen. Dies sei mit der hiesigen Auffassung von Lohnschutz nicht vereinbar. Einer, der an solch «marktradikalen» Positionen arbeite, sei als Chefbeamter nicht wählbar.
Keine marktradikalen Ideen
Was stand denn so Radikales in dieser Studie? Nichts. Avenir Suisse benannte darin bloss drei Nebenwirkungen der flankierenden Massnahmen (Flam): den erschwerten Berufseinstieg für junge Leute, die fehlende Durchlässigkeit im Arbeitsmarkt für Quereinsteiger und die Abschottung vor ausländischer Konkurrenz. Dies als Folge der Massnahmen bei Einführung der Personenfreizügigkeit mit der EU.
Vereinfacht gesagt: Die Schweizer Lohnregulierung für orts- und branchenübliche Löhne führt dazu, dass tiefqualifizierte Arbeit verteuert, Arbeitsplätze verdrängt und der inländische Nachwuchs von Fachkräften gehemmt werden. Befunde, die kaum bestritten sind.
Dass die Seco-Chefin Cosandey ernannt hat, ist nicht überraschend. Budliger, eine zupackende Beamtin ohne Scheuklappen, hat einen ebenso zupackenden, um Antworten nicht verlegenen Wissenschafter zu ihrem engsten Mitarbeiter in Arbeitsmarktfragen gemacht. Sie ist eine Problemlöserin, und Cosandey könnte in dieselbe Rolle hineinwachsen. Ihre Wahl erscheint nur logisch.
Maillards Frust
Was aus Maillards Kritik herauszuhören ist, ist der Frust, dass die Wirtschaftsverbände sich darauf verständigt haben, seine Forderungen nach der Einführung flächendeckender Mindestlöhne abzublocken. Das ist sein Hintergrund. Maillard will den künftigen Chefbeamten als Vermittler zwischen den Sozialpartnern einschüchtern.
Cosandey wäre so klug, dass er sich als Schiedsrichter der Sozialpartnerschaft politisch einmittet, so wie es Boris Zürcher vor ihm schon beim Seco getan hatte – auch er ein Ex-Kadermann bei Avenir Suisse. Der wohl grösste Test für den Schnelldenker Cosandey dürfte sein, die Geduld aufzubringen, die in der auf Ausgleich ausgerichteten Schweiz nötig ist, um den Arbeitsmarkt zu entwickeln.