«Handelszeitung Online»: Wie nervös sind Russlands Oligarchen?
Stefan Meister: Viel nervöser, als Präsident Putin und Premierminister Medwedew das zum Ausdruck bringen. Besonders von Oligarchen-Anwälten gibt es Statements, in denen sie Vergleiche ziehen etwa zur Enteignung der Juden in Nazi-Deutschland. Es herrscht eine sehr grosse Nervosität, was die Gelder in Zypern angeht, aber auch in Bezug auf das ganze Geschäftsmodell, das die Oligarchen mithilfe von Holdings über Zypern abwickeln.
Ist man im Kreml beleidigt, dass man von der EU nicht einbezogen wurde in die Zypern-Verhandlungen?
Es geht hier um grosse Summen russischen Geldes und die EU hat relativ wenig mit Moskau kommuniziert. Da ist man schon etwas verärgert.
Wie nimmt die russische Bevölkerung das Ganze wahr?
Es ist ein Thema, aber kein wirklich grosses. Dabei geht es vor allem um den Aspekt, dass die EU nicht in der Lage ist, ihre Schwierigkeiten zu lösen und sich in einer Krise befindet. Es wird weniger als russisches Problem wahrgenommen. Und die Debatte wird auch nicht mehr von der Kritik an Oligarchen bestimmt wie in Putins erster Amtszeit. Korruption in Verwaltung und Politik bewegen die Menschen viel mehr.
Könnte das Thema für Wladimir Putin trotzdem gefährlich werden?
Nein, Zypern ist zwar für manche Firmen und Oligarchen wichtig, aber Putin wird das nicht schwächen. Da hat er ganz andere Probleme: gesellschaftliche Dynamiken in Russland, mit denen er nicht fertig wird, oder etwa den Krieg in Syrien.
Bieten sich hier sogar Chancen für ihn?
Sollte es eine gemeinsame Lösung mit der EU geben, könnte Putin das als positives Beispiel von Kooperation präsentieren. Das ist nicht unwahrscheinlich, da der ökonomische Druck hoch ist. Auf der anderen Seite ist der Präsident innenpolitisch angeschlagen und nutzt Aussenpolitik, um sich zu legitimieren. Er kritisiert die EU, nennt sie ein gescheitertes Modell. Zypern könnte er als weiteren Beleg für das Versagen der EU aufführen und für eine stärkere Integration etwa mit Kasachstan und Weissrussland werben.
Droht da ein neuer Konflikt zwischen Ost und West?
Die Frage, wie die russischen Einlagen in Zypern gesichert werden können, könnte ein ganz schwieriges Thema werden in den EU-Russland-Beziehungen. Aber für einen wirklichen Konflikt sind die wirtschaftlichen Abhängigkeiten viel zu gross. Die Energielieferungen nach Westeuropa und die russischen Investitionen in die Weltwirtschaft sind nur zwei Beispiele. Die Integration ist schon viel weiter vorangeschritten, als wir uns das eingestehen.
Wenn die Oligarchen ihr Geld aus Zypern abziehen, wohin könnte es wandern?
Die Oligarchen nutzen Zypern als idealen Ort, um über ihre Holdings Geschäfte abzuwickeln. Die Schweiz etwa ist für dieses Modell keine Alternative. Die ist eher dafür da, sich niederzulassen, das Geld in Sicherheit zu bringen und anzulegen. In der russischen Fachpresse werden Liechtenstein und die Niederlande als Orte diskutiert, in denen das Zypern-Modell in abgeschwächter Form funktionieren könnte.
Dr. Stefan Meister ist Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik und des Zentrum für Mittel- und Osteuropa der Robert Bosch Stiftung. Zu seinen Schwerpunkten gehören russische Aussen-, Energie- und Wirtschaftspolitik sowie EU-Russland-Beziehungen.