Der Putschversuch in der Türkei fällt offenbar in sich zusammen. Tausende Türken folgten dem Aufruf von Präsident Recep Tayyip Erdogan und demonstrierten ihre Unterstützung für die Regierung. Diese erklärte am Samstagmorgen, sie habe die Lage unter Kontrolle. Der amtierende Stabschef des Militärs, Ümit Dündar, sagte, der Putsch sei verhindert worden. Die Armeespitze habe sich von Anfang an dagegen gestellt. Mehr als hundert Putschisten seien getötet worden. Zudem seien 90 weitere Menschen ums Leben gekommen, davon 47 Zivilisten. Zahlreiche aufständische Soldaten ergaben sich. Im ganzen Land wurden nach Angaben von Regierungskreisen mehr als 1500 Militärangehörige festgenommen.

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Am späten Freitagabend war in dem Nato-Land Chaos ausgebrochen, als eine Gruppe Militärangehöriger versucht hatte, die Macht an sich zu reissen. Sie setzten Panzer und Hubschrauber ein und brachten einige Medien unter ihre Kontrolle. Istanbul und Ankara wurden von Explosionen und Schüssen erschüttert. Der islamisch-konservative Erdogan, dem Kritiker eine zunehmend autoritäre Politik vorwerfen, kündigte in der Nacht zu Samstag Härte gegen die Aufständischen an. Die EU und die USA erklärten ihre Unterstützung für die gewählte Regierung.

Stundenlang unübersichtliche Lage

Stundenlang war die Lage in der Türkei unübersichtlich, nachdem Teile des Militärs völlig überraschend ihren Putschversuch gestartet hatten. Sie liessen Kampfflugzeuge und Hubschrauber über der Hauptstadt Ankara kreisen. Dort harrten Abgeordnete im Parlament aus, das von Panzern aus beschossen wurde. In der Metropole Istanbul riegelten Aufständische die Brücken über den Bosporus ab. Der Tankerverkehr durch die Meerenge wurde gestoppt. Die Flughäfen wurden geschlossen.

Putschende Armeekräfte übernahmen die Kontrolle über den staatlichen Fernsehsender TRT, über den eine landesweite Ausgangssperre und das Kriegsrecht ausgerufen wurden. Eine Ansagerin verlas auf Geheiss des Militärs eine Erklärung, in der der Regierung vorgeworfen wurde, die demokratische, säkulare Rechtsordnung zu untergraben. Das Land solle von einem «Friedensrat« geführt werden, der die Sicherheit der Bevölkerung gewährleiste. Kurz darauf stellte TRT den Sendebetrieb kurzzeitig ein.

Erdogan wirft Putschisten Hochverrat vor

Erdogan, der sich im Urlaub an der Küste befunden hatte, traf in der Nacht auf dem Atatürk-Flughafen in Istanbul ein, den die Verschwörer vergeblich unter ihre Kontrolle zu bringen versuchten. Er beschuldigte seinen in den USA lebenden Erzfeind Fethullah Gülen, hinter dem Aufstand zu stehen. Gülens Bewegung bestritt jede Beteiligung. Den Aufständischen warf Erdogan «Hochverrat« vor, für den sie einen hohen Preis zahlen müssten. Erdogan kündigte eine Säuberung der Armee an. Er hält Gülen schon seit langem vor, mit Hilfe von Gefolgsleuten in der Justiz und dem Militär die Regierung stürzen zu wollen.

Bereits vor seiner Ankunft in Istanbul hatte Erdogan per Telefon im Fernsehsender CNN Türk an seine Landsleute appelliert, auf die Strassen zu gehen und die Regierung zu verteidigen. Zahlreiche Menschen folgten dem Aufruf des Präsidenten. Sie versammelten sich auf den grossen Plätzen in Istanbul und Ankara. Sie schwenkten Fahnen. «Wir haben einen Ministerpräsidenten!«, rief ein Demonstrant. «Wir haben einen Oberbefehlshaber! Wir werden dieses Land nicht verkommenen Subjekten überlassen!«

«Unterstützung für die gewählte Regierung»

Politiker aus aller Welt riefen zur Zurückhaltung auf. Die  deutsche Bundesregierung betone «Unterstützung für die gewählte Regierung«, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert in der Nacht mit. Bundesaussenminister Frank-Walter Steinmeier verurteilte den Putschversuch und äusserte sich «zutiefst beunruhigt«. EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte, die Türkei sei ein Schlüsselpartner für die EU. «Die EU unterstützt voll und ganz die demokratisch gewählte Regierung, die Institutionen des Landes und die Herrschaft des Rechts.« US-Präsident Barack Obama appellierte an alle Parteien, die demokratisch gewählte Regierung zu unterstützen. Die Türkei müsse so schnell wie möglich wieder den Weg der Stabilität und Ordnung einschlagen, sagte ein Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief zur Ruhe auf.

Dagegen wurden aus der syrischen Hauptstadt Damaskus Freudenschüsse gemeldet. Erdogans Regierung gehört zu den Gegnern von Syriens Präsident Baschar al-Assad und ist einer der wichtigsten Verbündeten der US-geführten Koalition im Kampf gegen die IS-Miliz. Etwa zwei Millionen syrische Flüchtlinge halten sich in der Türkei auf.

Das türkische Militär hat in der Vergangenheit bereits mehrfach die Macht an sich gerissen, um die säkularen Grundlagen des Staates zu verteidigen. Erdogan wurde 2003 Ministerpräsident und ist seit 2014 Staatsoberhaupt der Türkei. Er strebt eine grössere Machtfülle für das Präsidentenamt an.

(reuters/me)