Kurz vor Torschluss macht Joe Biden ernst mit der Senkung der Medikamentenpreise in den USA. 6 Milliarden Dollar sollen aus dem System der öffentlichen Krankenversicherung Medicare genommen werden, die Preissenkungen gehen bis zu 80 Prozent. Besonders hart trifft es Pfizer und BMS; die beiden Unternehmen haben einen wichtigen Blutverdünner am Start, der künftig nur noch halb so viel kosten wird. Die Umsatzeinbussen gehen in die Hunderten von Millionen, wenn nicht gar in die Milliarden Dollar. Auch Novartis hat es erwischt, und zwar mit Entresto – das Herzmedikament gehört zu den wichtigsten Umsatzrennern der Basler.

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Gut so, mag da manch einer denken, die Pharmaindustrie macht ohnehin zu hohe Gewinne. Doch Schadenfreude ist fehl am Platz, vor allem aus europäischer Sicht. Denn damit gerät auch eine Konstellation ins Rutschen, die für den alten Kontinent sehr komfortabel ist und mit der er sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten bestens arrangiert hat. Sie lässt sich auf die gleiche Formel bringen, die auch für die Sicherheit gilt: Die Amerikaner zahlen, Europa sitzt im Seitenwagen und profitiert von der erfinderischen Arbeit. 

Der Druck wird steigen

Zu erwarten ist, dass die Preissenkungen in der öffentlichen Krankenversicherung auch die privaten Krankenkassenanbieter auf den Geschmack bringen könnten, die 6 Milliarden wären dann nur der Anfang. Klar ist: Die Einsparungen werden auf Kosten der Innovation gehen, und das ausgerechnet in einem Moment, in dem die Entwicklungskosten ohnehin aus dem Ruder laufen und es immer schwieriger wird, neue Medikamente im Markt zu platzieren. 

Die Frage wird sein, wie Europa mit der neuen Situation umgeht. Im besten Fall sieht es die Preissenkungen in den USA als Chance und nimmt sie zum Anlass, die eigenen Gesundheits- und Vergütungssysteme vermehrt auf Innovation auszurichten und die eigenen Ökosysteme zu stärken. Doch danach sieht es leider nicht aus. Die europäische Pharmagesetzgebung hat zwar einige sinnvolle und gute Ansätze, die geeignet sind, an die Tradition des Pharma-Powerhauses anzuknüpfen, das Europa mal war. Der Fokus liegt aber immer noch zu sehr auf der Achse «Access», also der Absicht, die Preise möglichst tief zu halten.

Unsinnige Bestimmungen

So steht etwa eine Bestimmung zur Diskussion, wonach Medikamente nur dann volle Marktexklusivität geniessen, wenn sie innerhalb von zwei Jahren in allen 27 EU-Ländern eingeführt werden. Ansonsten wird der Patentschutz von zehn auf acht Jahre verkürzt. Dies würde der Industrie nicht nur Milliarden entziehen, die Regelung ist auch unsinnig, da gewisse Gesundheitssysteme für gewisse neue und hochkomplexe Therapien gar nicht aufgestellt sind. Dass die Pharmaindustrie dafür büssen soll, dass gewisse europäische Gesundheitssysteme nicht auf der Höhe der Zeit sind, ist schlicht und einfach unverständlich.

Die europäische Biotech-Industrie braucht nicht noch mehr Regeln, die ihr Fesseln anlegen und die dann wieder mit sehr viel bürokratischem Aufwand überprüft werden müssten. Sie braucht ein gesellschaftliches und politisches Klima, in dem Innovation nicht primär als Kostenfaktor begriffen wird, sondern als etwas Positives. Der pure Fokus auf die Kostenseite greift zu kurz, die Perspektive sollte erweitert werden auf die Frage, welchen realen Nutzen die Medikamentenausgaben im Sinnes von «More value for money» bewirken. 

Europa fehlt die Begeisterung für Innovation

Europa muss wieder lernen, sich für Innovation zu begeistern. Das gilt ganz besonders jetzt, da sich abzeichnet, dass das aktuelle System der konstanten Querfinanzierung die Amerikaner an ihre Grenzen bringt und von diesen – zu Recht – infrage gestellt wird.