Zwei Buben, kaum älter als zehn Jahre, sitzen in ihrer Sennentracht auf der Veranda eines Bauernhauses im Kanton Appenzell-Innerrhoden. Sie rauchen Zigaretten und fühlen sich gut dabei. Fernsehberichte zeigen, was seit eh und je Tradition an den jährlichen kantonalen Viehschauen in der Ostschweiz ist. Und völlig legal. In dem Kanton gibt es grundsätzlich kein Gesetz, das den Verkauf von «Zigis» an Kinder oder das Rauchen Minderjähriger verbietet.

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Das Beispiel zeigt, wie lasch das Tabakgesetz der Schweiz im internationalen Vergleich ist. Derzeit gibt es in den Kantonen Genf, Obwalden, Schwyz und Appenzell Innerrhoden kein Abgabeverbot für Zigaretten an Minderjährige. In zwölf weiteren Kantonen dürfen 16-Jährige bereits Zigaretten kaufen, nur zehn von 26 Kantonen verlangen die Volljährigkeit. In den EU-Staaten hingegen sind Rauchverbote für Minderjährige längst gang und gäbe. Selbst Liberia und Namibia sind hier weiter als die Schweiz. Und Tabakwerbung wird in der EU und den USA seit den 1970er-Jahren kontinuierlich eingeschränkt.

Bund will Inspektoren in Tabakfabriken schicken

Der Bundesrat holt das jetzt nach und sagt der Tabakindustrie den Kampf an. Denn jährlich sterben gemäss dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) in der Schweiz fast 10 000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Sechs Mal so viele wie durch Verkehrsunfälle, harte Drogen, Aids und Suizide zusammen. Die Belastung für die Volkswirtschaft beträgt rund 10 Milliarden Franken - Tendenz steigend. Das ist bald doppelt so viel wie der volkswirtschaftliche Nutzen durch die Tabakwirtschaft infolge von Steuereinnahmen und Beschäftigung. Der Bundesrat will deshalb Tabakwerbung und Eventsponsoring durch Tabakkonzerne minimieren und den Tabakverkauf an Minderjährige landesweit verbieten.

Die Zügel für die Tabakwirtschaft werden kräftig angezogen. Übertretungen des Gesetzes sollen mit bis zu 40000 Franken bestraft werden. Falls die Gesundheit der Konsumenten «unmittelbar oder unerwartet gefährdet wird», zum Beispiel durch akute Vergiftung, dann drohen auch Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren. Die Kantone erhalten darüber hinaus – wie schon heute unter dem geltenden Lebensmittelgesetz – das Recht, Betriebsräume der Tabakproduktehersteller und -importeure zu inspizieren und Dokumente einzusehen. «Diese amtlichen Kontrollen, die stichprobenweise erfolgen können, sollen dazu dienen, dass die Betriebe ihrerseits die sogenannte Selbstkontrolle ernst nehmen», sagt BAG- Sprecherin Mona Neidhart.

«Werbung schafft neue Raucher»

Ein weiterer Aspekt der beaufsichtigten Selbstkontrolle bezieht sich auf die Einhaltung des Jugendschutzes. Die Tabak- und Werbeindustrie behauptet, nicht jugendliche und neue Raucher mit Werbung abzuholen. Sondern nur in der Gruppe der bestehenden erwachsenen Raucher Marktanteile der Konkurrenz gewinnen zu wollen. Dass dies nicht der Fall sei, schreibt die Expertengruppe Weiterbildung Sucht (EWS): «Durch Studien wurde der Zusammenhang zwischen Tabakwerbung und Konsumverhalten eindeutig belegt. Werbung schafft neue Raucher. Insbesondere Kinder und Jugendliche sind für Werbebotschaften empfänglich, weshalb sich Tabakwerbung gezielt an diese Altersgruppen richtet.»

Die Tabakindustrie argumentiert dagegen, Frankreich mit einer der strengsten Anti-Tabak-Regelungen der EU habe einen viel höheren Raucheranteil als die Schweiz. Werbung und Konsum würden nicht korrelieren. Für BAG-Sprecher Michael Anderegg stimmt diese Aussage nicht: «Rauchen ist in Frankreich kulturell verankert, dazu hat Werbung in Filmen, Medien und der Kulturszene – und in der Folge die soziale Akzeptanz – über Jahrzehnte beigetragen.» Der Raucheranteil sinkt aber auch in Frankreich aufgrund harscher Werbeeinschränkungen deutlich. «Frankreich verfügte um 1975 über einen Raucheranteil von über 40 Prozent. Dieser hat sich bis 2010 bei über 30 Prozent eingependelt», sagt Anderegg.

Bundesrat beruft sich auf hängige Klagen

Dabei fallen die Werbeeinschränkungen in der Botschaft des Bundesrats immer noch weniger scharf aus, als sie sein könnten. Die wirksamste Methode wäre wohl ein Werbeverbot für Tabakprodukte gewesen. Bevor der Bundesrat die Botschaft zum neuen Tabakgesetz formulierte, brachte Nationalrat Pierre-Alain Fridez eine Motion zur "Vereinheitlichung der Aufmachung von Zigarettenpäckchen" ein, im Jargon Plain Packaging genannt. Fridez sprach sich für ein Werbeverbot aus Gesundheitsgründen aus.

Das ist ein rotes Tuch für die Tabakindustrie. «Neutrale» Verpackungen sind die Kerndebatte in der Tabakwerbung. An dieser Frage entzündet sich der Streit zwischen dem Gesetzgeber und der Tabaklobby, sowohl international als auch in der Schweiz.

Einfluss der Tabakindustrie

Der Bundesrat quittierte den Antrag Fridez nüchtern: «Im Gesetzesentwurf ist die Einführung 'neutraler' Verpackungen nicht vorgesehen. Das geht dem Bundesrat zu weit.» Warum, das sagt er nicht. Ein Brancheninsider ist vom Einfluss der Tabakindustrie auf die Politik überzeugt, denn: «Anders ist nicht zu erklären, dass eine so wirksame Anti-Tabak-Massnahme nicht einmal im Entwurf enthalten ist.»

Der Bundesrat begründet die Ablehnung der Motion damit, dass mehrere Klagen, welche die Ukraine, Indonesien, Honduras, Kuba und die Dominikanische Republik gegen eine Regelung zu den neutralen Verpackungen in Australien eingereicht haben, noch hängig seien. In Australien ist Plain Packaging bereits üblich. Der Bundesrat werde aber «diese Entwicklungen aus gesundheits- und wirtschaftpolitischer Sicht genau verfolgen».

Tabakkonzerne lehren Kleinstaaten das Fürchten

Allzu genau dürfte er das jedoch nicht tun. Denn das nahezu vollständige Werbeverbot auf Zigarettenpackungen hat Australien bereits im Jahr 2011 eingeführt. Auf den Zigarettenpackungen sind seither nur eintönige Farben und abschreckende Bilder von Füssen toter Raucher und Raucherlungen zu sehen. In der Folge sank der Tabakkonsum im zweiten Quartal 2014 auf den niedrigsten Stand der Geschichte Australiens.

Zwei der weltgrössten Tabakkonzerne – Japan Tobacco und British American Tobacco (BAT) – zogen daraufhin vor das oberste Gericht in Australien, um das Gesetz zu bekämpfen. Den Rechtsstreit haben sie verloren. Die obersten Richter hielten deren Argumentation für «trügerisch, unwahr und konstruiert». Doch das war erst der Beginn der juristischen Auseinandersetzungen, auf die sich der Bundesrat beruft. Gleich drei Staaten gehen gerichtlich gegen das Plain-Packaging-Gesetz Australiens vor. Honduras, die Dominikanische Republik und die Ukraine finden, das Gesetz würde ihre Tabakexporte nach Australien gefährden.

Tabakkonzerne übernehmen Prozesskosten

Doch die Klageflut hat einen Schönheitsfehler. In einem Fernsehinterview sagt eine ukrainische Parlamentarierin: «Wir haben null Tabakhandel mit Australien.» Das Interesse der Ukraine in diesem Rechtsstreit erschliesse sich ihr nicht. Der Bundesrat begründet seine Ablehnung eines Werbeverbots dennoch mit dem Rechtsstreit. Dabei haben Tabakkonzerne diese Klagen finanziell unterstützt und einen Teil der Prozesskosten übernommen. Philip Morris etwa für die Dominikanische Republik, BAT für die Ukraine und Honduras.

Die Tabakindustrie geht nicht nur gegen grosse Länder wie Australien vor. Auch gegen ein kleines Land wie Uruguay mit nur 3,5 Millionen Einwohnern klagte Philip Morris wegen immer mehr Gesundheitswarnungen auf den Zigarettenpackungen. Der Prozess dauerte über fünf Jahre, Philip Morris setzte sich durch.

Horrorbilder auf den Packungen

Einen ähnlichen Prozess führte der Konzern gegen den westafrikanischen Staat Togo. Das Land führte ein neues Tabakgesetz mit schärferen Werbebeschränkungen ein. Die Regierung wollte Horrorbilder auf den Packungen anbringen. Philip Morris intervenierte. Die Massnahmen, die letztlich ergriffen wurden, waren kaum abschreckende Bilder, sondern schriftliche Warnungen. Und das bei einer Analphabetenquote von 40 Prozent.

Die Auseindersetzungen geben einen Vorgeschmack darauf, was einem kleinen Land blühen kann, wenn es sich mit der Tabakindustrie anlegt. Der Bundesrat wird seine Gründe haben, eine wirksame Massnahme gegen Rauchertode, das Plain Packaging, nicht einmal in den Entwurf zum neuen Tabakgesetz aufgenommen zu haben.

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