Die Einigung zwischen Grossbritannien und der EU über ein Freihandelsabkommen nach dem Brexit schlägt in der Schweizer Politik hohe Wellen. Zu reden gibt vor allem, dass im Brexit-Deal die Richter des Europäischen Gerichtshof (EuGH) keine Rolle spielen, anders als im Entwurf für den Rahmenvertrag Schweiz-EU.
Das lässt EU-Kritiker jubeln: «Brexit-Einigung gibt der Schweiz die Chance zu einem besseren Rahmenabkommen», überschrieb das Komitee Autonomiesuisse in einer Mitteilung noch an Heiligabend. Dort wird bilanziert: «Die Souveränität ist aus unternehmerischer Sicht unerlässlich für den langfristigen Erfolg der Schweizer Wirtschaft. Das Brexit-Abkommen zeigt, dass es Verhandlungspotenzial mit Brüssel gibt.»
Es sind aber nicht nur EU-Kritiker, die fordern, dass der Bundesrat das Thema in Brüssel noch einmal auf den Tisch bringe. FDP-Präsidentin Petra Gössi sagt in der «NZZ am Sonntag», «dass der Bundesrat mindestens versuchen sollte, eine Lösung ohne den EuGH auszuhandeln».
Gleichzeitig stellt sie fest, dass sich die Ausgangslage zwischen Grossbritannien und der Schweiz grundsätzlich unterscheide: Das Königreich entferne sich von der EU, während die Schweiz mit dem bilateralen Weg einen besseren Zugang zum EU-Binnenmarkt habe.
«Die Schweiz ist viel weiter»
Auch CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter hält die Verhandlungspositionen des Vereinigten Königreichs und der Schweiz nicht für vergleichbar, so die NZZaS: London habe jetzt ein Freihandelsabkommen mit der EU abgeschlossen; das Freihandelsabkommen der Schweiz mit Brüssel stamme derweil aus dem Jahr 1972.
Der Brexit-Pakt kam in letzter Minute zustande. Mehr hier
Grossbritannien stehe jetzt am Beginn eines «steinigen» bilateralen Wegs. «Die Schweiz ist viel weiter und hat dank den Bilateralen sektoriell Zugang zum EU-Binnenmarkt», sagt Schneider-Schneiter.
Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl appelliert an den Bundesrat, wieder Führungsverantwortung in der Sache zu übernehmen. Er sei in der Europapolitik seit Monaten «auf Tauchstation: Im Moment hört man fast nur die Skeptiker», sagt sie. Dabei geniesse der bilaterale Weg weiterhin grosse Unterstützung.
Drei Viertel aller Unternehmen unterstützen die Bilateralen
Das zeigt eine Umfrage: Drei Viertel aller Schweizer Unternehmen befürworten auch in der Corona-Krise die Fortsetzung des bilateralen Weges mit der Europäischen Union. Mehr als 60 Prozent der befragten Unternehmen würden ein Rahmenabkommen unterstützen, wenn es zur Abstimmung käme.
Ergänzt mit einem institutionellen Abkommen böten die Bilateralen «die mit Abstand attraktivste Option für die Mehrheit der Unternehmen», zeigt die repräsentative Umfrage des Forschungsinstituts gfs.bern im Auftrag des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse und der Alliance Economie-Politique bei über 1000 Unternehmen.
Die dieses Jahr im November zum dritten Mal durchgeführte europapolitische Befragung der Schweizer Unternehmen zeige eine auch in Krisenphasen gefestigte Haltung der Unternehmen gegenüber den Beziehungen der Schweiz zur EU.
Zustimmung in der Krise leicht tiefer
Für über 70 Prozent der befragten Unternehmen seien die aktuellen bilateralen Verträge mehrheitlich vorteilhaft. Dass die Zustimmung etwas geringer ausfalle als im Vorjahr, sei möglicherweise auf die aktuelle Krise zurückzuführen.
In der Corona-Krise habe das Bedürfnis der Unternehmen nach einer raschen Lösung mit der EU für die Weiterentwicklung der Bilateralen leicht abgenommen. Die Befürchtung, dass die Schweiz international den Anschluss verliere, sei etwas weniger ausgeprägt als im Vorjahr. Aber immerhin jedes zweite Unternehmen teile diese Befürchtung nach wie vor.
Eine Kündigung der Verträge oder ein EU-Beitritt sind laut Umfrage chancenlos. So sei der Rückhalt für die Fortsetzung der Bilateralen ein deutliches Signal gegen Experimente in der Europapolitik mit ungewissem Ausgang. Angesichts der globalen Pandemie falle die Beurteilung des institutionellen Abkommens überraschend positiv aus, heisst es weiter.
Rund jedes zweite Unternehmen ist zudem gemäss Mitteilung der Auffassung, dass der Bundesrat keine Verbesserungen gegenüber dem vorliegenden Abkommen aushandeln kann.
(me mit Material von sda)