Neue Produkte entwickeln und bestehende verbessern, das ist ein Muss für die Schweizer Schoggi-Industrie. Während die Inlandverkäufe seit vielen Jahren stagnieren, floriert der Export. Zwei Drittel der hierzulande hergestellten Schokolade geht inzwischen ins Ausland.
Zur Jahrtausendwende sei noch der grösste Teil der Schweizer Schokolade im Inland verkauft worden, heisst es beim Branchenverband Chocosuisse. «Heute ist das Exportgeschäft der wichtigste Wachstumsmotor der heimischen Schokoladeindustrie», stellt Vizedirektor Sevan Nalbandian fest. International wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen seien deshalb immer wichtiger.
Vierte Schoggi-Sorte
Der Verkauf im Inland stagniert seit dem Jahr 2000 und in den letzten drei Jahren war er sogar leicht rückläufig. Aufgrund des starken Frankens könne zudem ausländische Schokolade günstiger importiert werden, stellt Chocosuisse fest. Der Importdruck nehme dadurch zu.
Ein Beispiel für Innovation im Schoggi-Sektor zeigt Barry Callebaut: Vor gut zwei Wochen zauberte der Konzern völlig überraschend mit «Ruby» neben der Milchschokolade, der dunklen und weissen Schokolade eine vierte Sorte aus dem Hut. In der Branche reibt man sich verwundert die Augen und verweist auf eigene Produktentwicklungen. (Handelszeitung.ch hat «Ruby» bereits getestet. Hier finden Sie den Testbericht.)
«Spannende Innovation»
«Ruby» sei eine «spannende Innovation» und eine «interessante Neuigkeit eines grossen Mitbewerbers», heisst es bei angefragten Schweizer Schokoladeproduzenten. Mehr dazu sagen können und wollen die Konkurrenten allerdings nicht, da sie bis dato das Produkt weder gesehen noch degustiert haben.
Lobende Worte findet der Verband Schweizerischer Schokoladefabrikanten (Chocosuisse): Die neue Schokolade zeuge von der Innovationskraft der heimischen Industrie. Der grosse Wettbewerbsdruck fordere von der Branche, ihre Produkte möglichst den aktuellen Kundenwünschen anzupassen. Die Lancierung eines neuen Produktes sei dabei immer auch mit Risiken verbunden. «Ich bin aber überzeugt, dass der Markt mit grossem Interesse auf das neue Produkt reagieren wird», betont Vizedirektor Nalbandian.
Schoggi-Fans müssen sich gedulden
Bis Konsumenten sich die aus der Ruby-Kakaobohne hergestellte Schokolade im Mund zergehen lassen können, dürften allerdings noch sechs bis 18 Monate vergehen, schätzt Barry Callebaut-Sprecher Kim Ghilardi. Der Zürcher Konzern, die Nummer 1 im Markt, produziert nämlich keine fertigen Produkte für Konsumenten, sondern beliefert die Lebensmittelindustrie, Chocolatiers, Konditoren, Bäcker, aber auch Hotels und Restaurants. Noch ist es laut dem Konzern zu früh, um die Nachfrage nach dem neuen Produkt abzuschätzen.
Verarbeiten lässt sich «Ruby» gleich wie die traditionellen Sorten. Die Produktion soll hingegen aufwendiger und kostspieliger sein. Ob dies auf die Verkaufspreise durchschlagen wird und wie die Akzeptanz bei den Schoggi-Liebhabern sein wird, ist noch offen. Barry Callebaut testete das Produkt bisher erfolgreich auf den für den Konzern wichtigen Märkten Grossbritannien, USA, China und Japan.
«Ruby» besitze einen rötlichen Farbton und der Geschmack sei fruchtig und «beerig», erläutert Ghilardi. Beide Eigenschaften stammen ausschliesslich von der gleichnamigen Kakaobohne, die in Ecuador, Brasilien und der Elfenbeinküste angebaut wird. Da weder Beeren, Aromen oder Farbstoffe zugesetzt werden, handelt es sich wohl tatsächlich um eine vierte Sorte.
Keine Angst vor Nachahmern
«Die Lancierung wurde geheim gehalten, da es für uns eine sehr wichtige Innovation ist. Wir wollten nicht, dass etwas durchsickert», sagt Ghilardi. Umso grösser sei die Freude über das weltweit grosse Interesse und die sehr positiven Reaktionen.
Entdeckt wurde «Ruby» wie der Konzernsprecher erzählt, schon vor 13 Jahren zufällig in der konzerneigenen Forschungsabteilung in der Normandie. Ghilardi spricht von einem «einzigartigen Verfahren», ohne Details zu verraten. Barry Callebaut hat sich umgehend Teile des Produktionsprozesses patentieren lassen. Der Rest ist Geschäftsgeheimnis.
Angst davor, dass Konkurrenten eine eigene «Ruby»-Schokolade entwickeln könnten, hat man vorerst nicht. Falls Mitbewerber dies ins Auge fassen sollten, würden sie für die Entwicklung und Produktion Jahre brauchen, glauben die Zürcher.
Konkurrenz überarbeitet Altbewährtes
Die Konkurrenz setzt derzeit tatsächlich stärker auf bewährte Sorten und entwickelt die eigenen Marken weiter. Camille Bloch, bekannt für gefüllte Schoggi-Spezialitäten wie Ragusa und Torino, arbeitet laut Mediensprecherin Regula Gerber an Innovationen für seine Bestseller. «Ruby» gehöre momentan nicht dazu. In den letzten Jahren entstanden ist beispielsweise die «Blond»-Schokolade mit karamellisierter Milch.
Nestlé hat kürzlich das Rezept für die Milchschokolade seiner Marke Cailler mit Blick auf ihr 200-Jahr-Jubiläum überarbeitet. Weniger Zucker, mehr Milch und Kakao sollen für einen intensiveren Geschmack sorgen und den Absatz ankurbeln. Cailler habe keine vierte Schokoladensorte im Angebot und sei auch nicht daran, eine zu entwickeln, heisst es bei der ältesten Schweizer Schokoladenmarke.
Rosa - aber kein «Ruby»
Chocolat Frey habe bereits bisher für jeden Kundengeschmack etwas im Angebot, betont Tim Herrmann, Sprecher der Migros-Tochter. Das Unternehmen stelle nämlich über 70 Schokolade-Rezepturen her, die aus sortenreinen, aber auch Mischungen von bis zu fünf verschiedenen Kakaosorten bestünden.
Bereits bisher gibt es beim 1962 gegründete Glarner Familienunternehmen Confiseur Läderach rosafarbene Schokolade. Sie besteht allerdings aus weisser Schokolade mit kleinen Stückchen von Himbeeren und Brombeeren. Das Produkt hat damit nichts mit der Sorte «Ruby» zu tun. Man werde künftig keine «Ruby»-Schokolade verkaufen, sagt Sprecherin Nathalie Ziswiler. Die bekannteste Spezialität von Läderach ist ihre Frischschoggi, die in 20 Sorten an offenen Theken verkauft wird.
Fünf Fakten aus der Welt des Essens:
(sda/cfr/ise)