Der Polit-Thriller begann am 10. Dezember 2003. Die SVP hatte den Geheimplan «Hannibal» entworfen mit dem Ziel, CVP-Bundesrätin Ruth Metzler durch Blocher zu ersetzen. Der Plan ging auf, der SVP-Chefstratege war Mitglied der Landesregierung.
Dort verletzte er das Kollegialitätsprinzip, stiess Mitglieder seiner eigenen Fraktion vor den Kopf und sorgte bis weit ins bürgerliche Lager hinein für Irritation. Für CVP-Präsident Christophe Darbellay waren es Blochers Stil, der fehlende Respekt für Gewaltentrennung und die mangelnde Kollegialität, die ihn am SVP-Bundesrat zweifeln liessen, wie er im 2008 erschienen «DOK»-Film «Die Abwahl» verriet.
Kampf der Feldherren
Gemäss dem Beitrag gehörte Darbellay zunächst aber nicht zu den Drahtziehern. Der Geheimplan «Scipio» – benannt nach dem römischen Feldherrn, der Hannibal besiegte – war von der SP-Fraktionsspitze entworfen worden.
Zu den Urhebern gehörten der damalige Parteipräsident Hans-Jürg Fehr, Fraktionschefin Ursula Wyss und der Fraktionsvize, der heutige Bundesrat Alain Berset. Das enthüllte SP-Nationalrat Andrea Hämmerle, der den Kontakt zur damaligen Bündner Regierungsrätin Widmer-Schlumpf herstellte, in einem 2011 erschienenen Buch.
Darbellay und Schwaller als Schlüsselfigur
Zunächst glaubte niemand ernsthaft, dass die Abwahl gelingen würde. SP, Grüne und möglichst viele Parlamentarier aus der Mitte sollten sich aber auf einen Gegenkandidaten einigen, um ein Zeichen gegen Blocher zu setzen. Widmer-Schlumpfs Name sei früh gefallen, sagte Wyss im «DOK»-Film. Doch die Verschwörer taten alles, um von ihr abzulenken. Die Sprengkandidatin sollte nicht zu früh unter Druck geraten.
Dann wird die CVP-Spitze ins Vertrauen gezogen. Am Tag vor der Wahl vom 12. Dezember bringen Darbellay und Fraktionschef Urs Schwaller die Fraktion auf Kurs: Die Mehrheit unterstützt Blocher nicht, benennt aber keinen offiziellen Gegenkandidaten. Noch kursieren diverse Namen.
Geglücktes Überraschungsmanöver
Erst am frühen Morgen des Wahltags wird Eveline Widmer-Schlumpf auf den Schild gehoben. Um 7 Uhr früh präsentieren Darbellay und Schwaller die Bündnerin an der Fraktionssitzung als Kandidatin. Das gleiche passiert in den Fraktionszimmern von SP und Grünen. Erst jetzt wird auch die Öffentlichkeit darüber informiert, dass Mitte-Links eine Gegenkandidatin portiert.
Dem damaligen SVP-Präsidenten Ueli Maurer war das gerüchteweise schon am Vortag zu Ohren gekommen. Nach eigenen Angaben telefoniert er am Abend vor der Wahl mit Widmer-Schlumpf. Diese habe ihm versichert, eine allfällige Wahl auf keinen Fall anzunehmen, sagt er im «DOK»-Film. «Ich war naiv, wie ich im Nachhinein feststellen musste.»
Knappes Mehr
Widmer-Schlumpf wird von der Bundesversammlung im zweiten Wahlgang gewählt. Bei einem absoluten Mehr von 122 Stimmen bekommt sie 125 Stimmen. Sie ist bereits auf dem Weg nach Bern, zum traditionellen SVP-Fraktionsessen. Stattdessen trifft sie sich mit der Fraktionsspitze, die sie über die Konsequenzen informiert, falls sie die Wahl annimmt. «Ich habe gewusst, auf was ich mich einlasse», sagte sie später. Am nächsten Morgen erklärt Widmer-Schlumpf vor der Bundesversammlung, dass sie die Wahl annimmt.
Bis heute ungeklärt ist, wie weit sie in den Geheimplan «Scipio» eingeweiht war. Darbellay will «solide Garantien» gehabt haben, dass sie die Wahl annimmt. In seinem Buch tritt Hämmerle jedoch Mutmassungen entgegen, dass es konkrete Absprachen gegeben habe. Widmer-Schlumpf selber sagte, dass sie nach einem ersten Kontakt nur noch einmal eine SMS in der Sache erhalten habe.
Anfang der BDP
Für ihr politisches Schicksal spielte das keine Rolle. Der SVP galt sie als Verräterin. Um sie loszuwerden, wurde die gesamte Bündner Kantonalpartei aus der SVP ausgeschlossen, was zur Gründung der BDP führte. Auch im Kanton Bern kam es wegen Bundesrat Samuel Schmid zur Spaltung. Am 1. November 2008 wurde die BDP Schweiz gegründet.
Das Bündnis, das 2007 bei der Wahl von Widmer-Schlumpf gespielt hatte, hielt 2011: Die SVP griff die amtierende Bundesrätin zwar mit den Nationalräten Jean-François Rime und Hansjörg Walter an. Widmer-Schlumpf erreichte das absolute Mehr aber schon im ersten Wahlgang.
(sda/ise)