Was das Stadtzürcher Stimmvolk letzten Sonntag entschieden hat, ist ein Unding: Es gilt neu ein Mindestlohn auf Stadtgebiet. Warum ein Unding, illustriert das folgende Beispiel: Wer in Schlieren bei Zürich Gebäude im Unterhalt reinigt, erhält minimal 3676 Franken pro Monat. Findet die Reinigung einen Kilometer weiter östlich statt, in Zürich-Altstetten, muss der Arbeitgeber ihm künftig 4400 Franken brutto abrechnen. Das ist der Monatslohn, wenn man 23 Franken und 90 Rappen pro Stunde auf den Monat umlegt.
So viel müssen Firmen ihren Mitarbeitenden mit Einsatzort Zürich künftig bezahlen. Gesamtarbeitsverträge, die weniger definieren, werden übersteuert. Die städtische Gewerbepolizei wird sie kontrollieren müssen. Was da auf sie zukommt, hat die Stadtregierung wohl nicht im vollen Umfang begriffen.
Wie die Firmen solche Abrechnungen bewältigen sollen, ist ein Rätsel. Betroffen sind alle nicht stationär tätigen Betriebe, so etwa Handwerksberufe, die inner- wie ausserhalb der Stadt im Einsatz stehen. Wenn beispielsweise ein Reparaturmechaniker 3 Stunden in Schlieren und dann 4 Stunden in Zürich-Altstetten einen Auftrag verrichtet, muss seine Arbeitgeberin nachweisen, dass man ihm für 4 Stunden in Zürich 23 Franken und 90 Rappen je Stunde ausgerichtet hat: eine völlig unpraktikable Situation.
Hinzu kommen Zweifel aus übergeordneter Sicht an der Zürcher Lösung. Die moderne Schweiz hat sich 1848 eine Verfassung gegeben, die die Wirtschaftsfreiheit über die Kantons- und Gemeindegrenzen hinweg garantiert. Regional dekretierte Wettbewerbsverzerrungen gab es viele, und sie wurden fast alle abgeschafft. So konnte das Land zur erfolgreichen Wirtschaftsnation heranwachsen.
Eine Anekdote dazu, was bis 1847 galt: Wer von Zürich nach Lausanne fuhr, kam an rund 20 Zollstellen vorbei. Jeder Kanton und jede Stadt hielt die Hand hin. Im Land gab es 531 Zollstellen. Sie alle wurden durch die Gründung der Schweiz abgeschafft. Und jetzt sollen sich städtische Mindestlöhne ausbreiten. In Neuenburg 20 Franken pro Stunde, in Basel 21 Franken, in Winterthur 23 und in Zürich und Genf 24 Franken. Sie erscheinen wie eine moderne Form von Wegelagerei.
Dann gibt es noch die zweite Verfassungsregel: Die Eingriffe des Staates (hier der Stadt Zürich) müssen verhältnismässig und zielführend sein. Der Stadtrat argumentiert, dies sei eine sozialpolitische Massnahme, denn mit dem Mindestlohn werde Armut bekämpft. Doch wird sie das? Und ist es verhältnismässig, allen Firmen eine Kontrollbürokratie aufzuzwingen?
Laut der Zürcher Volkswirtschaftsdirektion und einer Berechnung der NZZ arbeiten im Kanton 6000 Arme im Tieflohnbereich. Wie viele es in der Stadt Zürich sind, ist unbekannt. 600, 800 oder 1000? Wird mit der Einführung des Mindestlohns die städtische Armut gemindert? Die Gewerbeverbände haben einen guten Grund, den Volksbeschluss wegen der fehlenden Verhältnismässigkeit der Massnahme vor Bundesgericht anzufechten. Das linksgrüne Zürich hat sich ein Riesen-Ei gelegt.
2 Kommentare
Man merkt die Absicht und ist betreten.... Wirtschaftsfreiheit über alles, die Aermeren sollen halt selber schauen-wen kümmern schon die working poor?
Klar, dass der Geldadel bzw. Freisinn gegen den Mindestlohn ist, denn er reduziert nicht nur die Armut, sondern die Ausbeutungsrate. Dem Autor wäre es offensichtlich lieber, die Angestellten im Niedriglohnsektor müssten das fehlende Geld auf dem Sozialamt erbetteln, damit sie halbwegs anständig leben können.