Um das vorweg klarzustellen: Österreich klaut Deutschland kein Gas. Und die Schweiz ist nicht in einer ähnlichen Versorgungssituation wie Österreich. Im Schweizer Blätterwald rumort es, die Schweiz müsse so wie Österreich befürchten, nicht genügend Gas zu bekommen.
Österreich würde deshalb einen Gasspeicher auf eigenem Territorium, in dem deutsche Kunden Gas einlagern, für sich beanspruchen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das ist Mumpitz.
Gasspeicher sind wie Hotelzimmer
Konkret geht es um einen Gasspeicher nahe der bayrischen Grenze in Haidach, Salzburg, der an das internationale Gasnetz angeschlossen ist. Dabei muss man sich den Speicher, auch jenen im französischen Étrez für die Schweiz, wie ein Hotelzimmer vorstellen: Der Gast bucht ein Zimmer und bewohnt es für eine gewisse Zeit.
Analog: Ein privates Unternehmen bucht Speicherraum für Gas, das es eingekauft hat.
Nur weil ein Hotel ein Zimmer vermietet, heisst das nicht, dass diesem die Koffer des Hotelgastes gehören. Genauso wenig gehört der Inhalt des Gasspeichers dem Betreiber oder dem Staat, auf dessen Territorium sich der Speicher befindet. Sondern dem Kunden, der den Speicherraum gebucht hat.
Was Österreich vorhat, ist der Zubau einer Direktleitung an den Speicher in Haidach. Diesen gab es bisher nicht, das Gas wurde aus Deutschland nach Österreich geliefert. Selbst dann, wenn das Gas einem österreichischen Kunden gehört.
Das ist umständlich und kann im Ernstfall zu einer künstlichen Gasknappheit führen, weil nicht genügend Durchflusskapazitäten zur Verfügung stehen.
Das heisst aber nicht, dass Österreich Gas von deutschen Kunden für sich abzweigen kann. Das käme einer Enteignung gleich. Und so ein Gas-Klau wäre erschöpfend: Das ginge nur so lange, bis der Speicher leer ist.
Danach könnte sich Deutschland rächen und kein Erdgas mehr in Richtung Österreich schicken. Das wäre der deutlich grössere Schaden, ein Grossteil des Gases für Österreich kommt über Deutschland herein.
Die Abhängigkeiten zwischen Österreich und Deutschland sind so gross, dass eine Gas-Enteignung zum Bumerang würde. Das wissen sowohl der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck, der vom Zubau der Direktleitung seit mehreren Monaten weiss, als Österreich dies gesetzlich beschlossen hatte, als auch der bayrische Ministerpräsident Markus Söder, der mit Verständnis auf das österreichische Vorhaben reagierte.
Beide Länder sind seit dem 1. August dafür verantwortlich, diesen Gasspeicher gemeinsam auf mindestens 80 Prozent zu befüllen, und sind aufeinander angewiesen.
Die Schweiz sitzt am kürzeren Hebel
Für die Schweiz legt dies eine andere Wunde offen. Zwar gibt es vertragliche Vereinbarungen mit Frankreich bezüglich des einzigen Gasspeichers für die Schweiz in Étrez. Aber im Ernstfall stellt sich die Frage, wie sehr Frankreich von der Schweiz abhängig ist.
Was die Schweiz hat, ist die Stromtrasse, welche Nordeuropa mit Italien verbindet und für Europas Netzstabilität wichtig ist. So gesehen hat die Schweiz durchaus ein Pfand in der Hand. Auch sonst der Schweiz das Gas zu kappen, ohne dabei die direkten Lieferungen nach Italien zu gefährden, ist kaum möglich.
Dennoch wäre der Schaden für die grossen EU-Nachbarn der Schweiz geringer als im Szenario Deutschland-Österreich. In Haidach befindet sich der zweitgrösste Gasspeicher Mitteleuropas.
Aus EU-Perspektive könnte die Union das «Problemland Schweiz» hingegen im wahrsten Sinne des Wortes mit Gas umschiffen. Der Unterschied zu Österreich ist, dass die Schweiz am kürzeren Hebel sitzt.