Alt Bundesrat Otto Stich ist in der Nacht auf Donnerstag mit 85 Jahren gestorben. Zuvor war er öfters krank und musste ins Spital. Der populäre SP-Politiker, der sich auch aus dem Ruhestand immer wieder zu Wort gemeldet hatte, verstummte in den vergangenen Jahren zusehends.
In den Bundesrat gewählt wurde der Solothurner Stich im Dezember 1983, Ende Oktober 1995 trat er zurück. 1988 und 1994 war er Bundespräsident. Während seiner ganzen Amtsdauer stand er dem Finanzdepartement vor. Sein Einstieg in die Landesregierung war von Misstönen begleitet. Das Parlament zog ihn der offiziellen SP-Kandidatin Lilian Uchtenhagen vor.
In der Folge entwickelte sich der Handelslehrer und promovierte Staatswissenschaftler zum beharrlichen eidgenössischen Kassenwart, den auch seine Gegner respektierten. Der passionierte Pfeifenraucher musste die Trendwende zu hohen Haushaltsdefiziten miterleben, wofür er das Parlament oftmals heftig geisselte.
Mit der Einführung der Mehrwertsteuer erlebte Stich eine grosse Arbeitsbelastung. Nach einem Kollaps an einer Bundesratssitzung musste ihm 1994 ein Herzschrittmacher eingesetzt werden. 1995 warf der vielerorts als stur bis hartnäckig bezeichnete Stich das Handtuch, weil er das bundesrätliche Budget wegen Differenzen in der Buchführung nicht mittragen wollte.
Landesregierung erinnert an Höhepunkte
Der Bundesrat nimmt Anteil an der Trauer über den Tod von Otto Stich und spricht der Familie sein herzliches Beileid aus. Der ehemalige Bundespräsident werde als markige, aber herzliche Persönlichkeit in Erinnerung bleiben, heisst es in einer Mitteilung.
Die Landesregierung erinnert an politische Höhepunkte, die Stich zunächst mit seiner Ernennung zum Gemeindeammann von Dornach erlebte, später mit der Wahl in den Nationalrat und schliesslich in den Bundesrat.
Stich habe schon nach kurzer Zeit seiner Amtsführung Freunde und Kritiker für sich einzunehmen vermocht. Überzeugt habe er vor allem mit Hartnäckigkeit und Sachverstand, mit welchem er sich für seine Überzeugungen einsetzte, schreibt der Bundesrat.
Stets sei der ehemalige Finanzminister so wahrgenommen worden, wie er seine Ende 2011 erschienene Autobiografie überschrieb: «Ich blieb einfach einfach».
Adolf Ogi: «Stich war ein sehr guter Finanzminister»
Otto Stichs ehemaliger Bundesratskollege Adolf Ogi würdigte Otto Stich als eigenständigen, ehrbaren Denker. «Er war beharrlich, aber erfolgreich», sagte Ogi der Nachrichtenagentur sda.
Ogi hat Stich auch als sehr guten Finanzminister in Erinnerung. «Er hat die Finanzen im Griff gehabt, und er hat es allen anderen Mitgliedern des Bundesrates nicht immer leicht gemacht.» Stich sei aber auch nahe am Volk gewesen und er sei für die sozial Schwächeren dagewesen.
Stichs Widerstand gegen den Lötschberg-Basistunnel der Neat kommentiert der ehemalige Verkehrsminister nüchtern: «Er musste sparen. Ich musste bauen und hatte einen Auftrag vom Volk, vom Parlament und vom Bundesrat.» Dem ehemaligen Finanzminister hält er zugute, der Neat zu einer guten Finanzierung verholfen zu haben.
Die Auseinandersetzung zwischen ihm und Stich sei hochgespielt worden, kritisiert Ogi. «Wir konnten immer miteinander reden.» Sie hätten auch eine Verbindung gehabt, nämlich den Alpinismus und das Skitourenwesen. «Gemeinsame Touren haben wir nie gemacht, aber wir haben darüber gesprochen», sagt Ogi.
Dass Stich 1983 von Bürgerlichen anstelle der offiziellen SP-Kandidatin Lilian Uchtenhagen gewählt worden sei, habe ihm den Start ins Amt nicht leicht gemacht, sagte Ogi. «Er hatte es am Anfang nicht leicht mit der SP und die SP nicht mit ihm.» Später hätten sich beide Seiten miteinander arrangiert.
Ulrich Bremi: «Stich war ein guter Goalie der Bundeskasse»
«Otto Stich war ein guter Goalie der Bundeskasse», hat der Zürcher alt FDP-Nationalrat Ulrich Bremi am Donnerstag den verstorbenen ehemaligen Bundesrat gewürdigt. Stich habe sein Mäntelchen nie nach dem Wind gehängt.
Als Verhandlungspartner war Stich zäh, wie Bremi gegenüber der Nachrichtenagentur sda sagte. Man habe sich aber immer auf ihn verlassen können. Mit seinem unabhängigen Geist und der starken eigenen Meinung habe der Finanzminister öfters alleine dagestanden.
Bei den damals wachsenden Budgetdefiziten sei die Zeit für einen Finanzminister schwierig gewesen. An den Defiziten sei Stich nicht schuld, denn dabei rede das Parlament schliesslich ein gewichtiges Wort mit. Stich habe immer dazu gemahnt, nicht mehr auszugeben als eingenommen wird.
Der Unternehmer Ulrich Bremi war von 1975 bis 1991 für die FDP im Nationalrat, 1985 bis 1989 amtierte er als Fraktionspräsident. In seinem letzten Amtsjahr war er Nationalratspräsident.
Der Unternehmer gehörte zum damals mächtigen Zürcher Flügel der FDP und galt als politisches Schwergewicht. Unter anderem wurde dank ihm die Freisinnige Elisabeth Kopp in die Landesregierung gewählt, deren Amtszeit in einem Skandal endete.
Bodenmann: «Stich hätte jeder sein Sparbuch überlassen»
Otto Stich war «ein helvetischer Sparonkel, dem jeder sein Sparbuch überlassen hätte»: Unter anderem mit diesen Worten würdigt der ehemalige SP-Präsident Peter Bodenmann den verstorbenen alt Bundesrat. Er hob die grosse Parteitreue Stichs hervor.
Zwar habe Stich einer anderen Generation angehört als die seinerzeitige Parteileitung durch ihn, Bodenmann. So habe man das Heu nicht immer auf der gleichen Bühne gehabt, die sozialdemokratischen Grundwerte aber geteilt. Auch erweise sich die Bereitschaft zur Vielfalt in einer Partei als als produktiv.
Stich sei gegen den Willen der SP anstelle von Lilian Uchtenhagen gewählt worden, ruft Bodenmann in Erinnerung. Den Bürgerlichen, die das getan hätten, sei ihr Eigengoal aber schnell klargeworden. Sie hätten gemerkt, dass Stich nicht aus Wachs sondern durch viele politische Niederlagen gestählt war.
Stich habe hervorragend begriffen, dass Politik Taktik sei. Statt schnell nachzugeben sei es angezeigt, an die Grenzen zu gehen. Als Bundesrat habe der Verstorbene unheimlich spannende Jahre in Bern verbracht. Die europäische Frage, die Ökologie und der Aufstieg der SVP als Spaltpilz des bürgerlichen Lagers etwa seien alle in seine Zeit gefallen.
Otto Stich habe wenig repräsentiert, lieber sei er über einem Dossier im Büro gesessen. Schnell sei er mit Problemlösungen zur Hand gewesen. So habe er sich eine grosse Glaubwürdigkeit aufgebaut - nicht zuletzt in der Bevölkerung. Bodenmann präsidierte die SP von 1990 bis 1997.
(muv/jev/vst/chb/sda)