Der ukrainische Vize-Aussenminister Andrij Melnyk bezweifelt baldige ukrainisch-russischen Friedensgesprächen in der Schweiz. «Ich weiss nicht, ob mein Präsident direkt mit Wladimir Putin in der Schweiz verhandeln würde. Diese Frage stellt sich im Moment gar nicht in dieser Dimension», sagte Melnyk am Mittwochmorgen im Deutschlandfunk.
Er räumte dem von der Ukraine angestrebten Friedensgipfel Ende Februar geringe Chancen ein. «Die Russen sagen zwar ab und zu, dass sie Frieden wollen, tun aber jeden Tag das Gegenteil und wir haben Anzeichen, dass sie eine weitere Offensive im Donbass vorbereiten, vielleicht auch eine im Norden von Belarus aus.»
Auf die Nachfrage, was bei einem möglichen Treffen in der Schweiz Ende Februar zu erwarten sei – und vor allem wer – sagte Melnyk: «Wir können nichts dazu sagen, dass in der Schweiz verhandelt wird, weil wir gar keine entsprechenden Signale aus Russland wahrnehmen oder von Putin persönlich, dass diese Bereitschaft besteht.»
«Müssen Vorbereitungen für Friedensgespräche treffen»
Melnyk, der bis Mitte Oktober ukrainischer Botschafter in Berlin war und mit seiner unverblümten Art immer wieder für Aufsehen sorgte, warb dafür, sich auf Friedensgespräche einzustellen: «Auch wenn Russland gerade keine ernsthafte Bereitschaft zeigt, diese Gespräche zu führen, müssen wir die Vorbereitungen treffen.»
Denn die Zivilistinnen und Zivilisten litten am meisten unter der Situation. «Wir müssen auch eine Allianz der Willigen in der internationalen Gemeinschaft schaffen, um die zehn Punkte, die der Präsident vorgeschlagen hat, abzuarbeiten. Und wenn es so weit ist, haben wir dann schon die Grundzüge. Das ist die wichtigste Aufgabe der ukrainischen Diplomatie für die nächsten Wochen.»
Die Schweiz hatte sich bereits mehrfach als Gastgeberin oder Fazilitatorin für etwaige Verhandlungen angeboten. «Die Schweiz hält den Dialog mit beiden Konfliktparteien aufrecht. Aus Gründen der Vertraulichkeit kann sich das EDA nicht weiter dazu äussern», teilt ein Sprecher des Aussendepartments auf Anfrage mit.
Die ukrainische Botschaft in der Schweiz war wegen der noch andauernden Weihnachtsferien am Mittwochmorgen für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Seit dem 17. November ist die Juristin Iryna Wenediktowa Botschafterin der Ukraine in der Schweiz. Die als «Oligarchen-Jägerin» bekannte Vertraute Selenskyjs löste Botschafter Artem Rybchenko ab, der als Sonderbotschafter für den Wiederaufbau nach Kiew zurückkehrte.
Ukraine will zum Jahrestag einen UN-gestützten Friedensgipfel
Aktuell gelten offizielle Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland laut Beobachterinnen und Beobachtern als unwahrscheinlich. Beide Länder äussern sich jedoch regelmässig zu möglichen Friedensprozessen.
Die Ukraine strebt Ende Februar, rund um den Jahrestag der russischen Invasion, einen UN-gestützten Friedensgipfel an. Dieser würde idealerweise bei den Vereinten Nationen mit Generalsekretär António Guterres als Vermittler stattfinden. Das sagte Ukraines Aussenminister Dmytro Kuleba am zweiten Weihnachtsfeiertag in einem Interview mit AP.
«Die Vereinten Nationen könnten der beste Ort für die Durchführung dieses Gipfels sein, denn es geht nicht darum, einem bestimmten Land einen Gefallen zu tun», sagte er. «Es geht wirklich darum, alle an Bord zu holen.»
Russland soll sich zuerst Kriegsverbrecher-Tribunal stellen
Kuleba betonte allerdings auch, dass Russland nur eingeladen werden könne, wenn es sich für seine Kriegsverbrechen verantworte. Die Ukraine werde alles dafür tun, um den Krieg im Laufe des neuen Jahres zu gewinnen. Diplomatie könne dabei aber eine wichtige Rolle spielen.
«Jeder Krieg endet auf diplomatische Weise», sagte er. «Jeder Krieg endet als Ergebnis der Massnahmen, die auf dem Schlachtfeld und am Verhandlungstisch getroffen werden.»
Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte Mitte Dezember über einen möglichen Gipfel 2023 zur Umsetzung der «ukrainischen Friedensformel» gesprochen.
Der von Selenskyj beim G20-Gipfel in Bali im November präsentierte 10-Punkte-Plan beinhaltet unter anderem die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine, den Abzug der russischen Truppen, die Freilassung aller Gefangenen, ein Tribunal für die Verantwortlichen der russischen Aggression und Sicherheitsgarantien für die Ukraine.
Ukraines Präsident ist mit Zusagen für Geld und Waffen von seinem ersten Auslandsbesuch seit Kriegsbeginn zurückgekehrt. Die USA wollen unter anderem ein Patriot-Luftabwehrsystem in die Ukraine schicken. Mehr lesen Sie hier.