Nichts hassen Verwaltungsräte mehr als aktivistische, kurzfristig denkende Aktionäre. Mal prangern sie den Mangel an Ertragskraft an und das Verpassen von Wachstumschancen. Mal fordern sie gar die Zerschlagung von Konzernen. Und immer steht die kurzfristige Maximierung des Börsenwerts des Unternehmens im Zentrum. «Publikumsgesellschaften sind heute gezwungen, in immer kürzeren Abständen Erfolge vorzuweisen», sagt Wirtschaftsanwalt Peter Forstmoser, selber Multiverwaltungsrat. Das mache es für die Unternehmen schwierig, eine nachhaltige Strategie zu verfolgen.
Forstmoser will der Tendenz zu immer mehr Kurzfristigkeit im Kapitalmarkt entgegenwirken – mit einer so einfachen wie bestechenden Idee: Engagieren sich Aktionäre längerfristig, sollen sie dafür speziell entschädigt werden. Loyalitätsaktie nennt Forstmoser das Konstrukt – man könnte es in Anlehnung an das Treueprogramm der Migros auch «Cumulus»-Aktie nennen. «Vorgesehen ist, dass jeder Aktionär eine Prämie erhält – wenn er seine Aktie zwei Jahre oder länger hält», sagt Forstmoser. Die zusätzliche Loyalitätsdividende soll dabei zwischen 10 und 20 Prozent der regulären Dividende betragen.
Loyalität mit Vorteilen
Der frühere Swiss-Re-Präsident zählt die Vorteile der so geschaffenen Loyalität auf: Die auf mehrjährige Haltedauer eingestellten Aktionäre tragen die auf Jahre ausgerichtete Strategie des Managements mit. Zugleich lassen sich die Aktionäre mit Aussicht auf die Loyalitätsprämie vermehrt ins Aktienregister eintragen, was den Bestand an anonym gehaltenen Dispo-Aktien verringert. «Management und Verwaltungsrat erhalten damit die Möglichkeit, den direkten Kontakt mit den eingetragenen Aktionären zu suchen», betont Forstmoser.
Der einflussreiche Jurist weibelte gemeinsam mit dem früheren Clariant-Präsidenten Rudolf Wehrli und mit Mirjam Staub-Bisang, der heutigen Chefin von Blackrock Schweiz, in Bern für die Realisierung der Idee. Und machte sich frühzeitig dafür stark, dass der Bundesrat im Rahmen der Revision des Aktienrechts die rechtliche Grundlage für die Loyalitätsaktie schafft. Das prominente Wirtschaftstrio erntete für diesen Effort zwar Sympathiepunkte im Departement von Justizministerin Simonetta Sommaruga. Doch weiterverfolgt hat die SP-Bundesrätin das Konzept nicht.
Trotzdem gelang es Forstmoser und Co., die Loyalitätsaktie in die Reformvorlage hineinzuschmuggeln. Bei bürgerlichen Nationalräten verfing das Argument, mit der neuartigen Aktie Heuschrecken-Investoren von Schweizer Firmen fernzuhalten. Die grosse Kammer winkte einen entsprechenden Antrag ohne grössere Diskussion durch. Paradoxerweise war die finanzkritische SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger-Oberholzer die einzige Stimme im Rat, die sich gegen das Anliegen sperrte, das doch eigentlich das kurzfristige Gewinnstreben unterbinden soll.
Wirtschaft tut sich schwer mit dem Anliegen
Dabei ist die Frage, ob es Unternehmen künftig erlaubt sein soll, die Loyalität ihrer Aktionäre zu kaufen, in Wirtschafts- und Fachkreisen hoch umstritten. So tut sich etwa die Economiesuisse schwer, sich hinter das Anliegen ihres früheren Präsidenten Wehrli zu stellen. Der Verband befürchtet, die Loyalitätsaktie könnte zum Standard werden, den nach und nach alle Firmen anwenden müssen.
Auch Rechtswissenschafter sind skeptisch. Die Unterscheidung zwischen langfristigen «guten» Aktionären und kurzfristigen «schlechten» Aktionären stimme nicht mit der Realität überein, sagt Peter V. Kunz, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Bern. «Weniger die Gesellschaften als vielmehr deren Verwaltungsräte sind an langfristigen und unkritischen Gesellschaftern interessiert», moniert er. Heuschrecken seien darum oft besser als ihr Ruf. Erst durch sie werde eine Marktdisziplinierung gegenüber Verwaltungsräten möglich.
Das Konzept der Loyalitätsaktien lehnt Kunz entschieden ab. «Ein zentrales Aktionärsrecht würde dadurch indirekt eingeschränkt, nämlich das jederzeitige Verkaufsrecht.» So würden Aktionäre faktisch käuflicher nach dem Motto: «Ich erhalte ja jetzt eine höhere Dividende, also stehe ich dem Verwaltungsrat treu zur Seite.» Da insbesondere (professionelle) ausländische Investoren einen Short-termism verfolgten, würden sie in solche Unternehmen nicht mehr investieren. «Die Standortattraktivität würde damit ohne Zweifel abnehmen», so Kunz.
Immer mehr Bedenken
Die Verfechter der Loyalitätsaktie weisen derweil auf die überaus erfolgreiche Entwicklung von Familiengesellschaften hin. Diese zeige doch, dass langfristig orientierte Grossaktionäre das nachhaltige Gedeihen einer Aktiengesellschaft besser förderten. Doch legen neuere Studien nahe, dass die Kritik an aktivistischen Aktionären empirisch nicht haltbar ist. Sie kommen im Gegenteil zum Schluss, dass deren Interventionen längerfristig Mehrwert für die Unternehmen generieren.
Die Bedenken an der Loyalitätsaktie sind mittlerweile auch im Parlament angekommen. Weil die wirtschaftlichen und juristischen Folgen schwer einschätzbar sind, beschloss die vorberatende Kommission des Ständerats nun einen Marschhalt. Sie verlangt vom Bundesrat, die wirtschaftlichen und finanziellen Aspekte der Loyalitätsaktie genauer auszuleuchten.
Für Forstmoser dauert das zu lang. «Man soll es doch mal versuchen», rät er. Weil kein Unternehmen verpflichtet werde, bleibe der Gesetzesartikel im schlimmsten Fall toter Buchstabe.